Erfurt. Eine Praxisleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin trägt Erfahrungen aus Dutzenden Studien, Behördentexten und Expertenmeinungen zusammen.

Auch zwei Jahre nach der Freigabe gilt der Einsatz von medizinischem Cannabis weiter als umstritten. Erwartungen auf der einen Seite stehen Bedenken auf der anderen Seite gegenüber. Beklagt wird der Mangel an belastbaren Studien zur Wirksamkeit (Evidenz) der Präparate.

Mehr Orientierung verspricht jetzt eine Praxisleitlinie, die die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) im Internet veröffentlicht hat. (*) Das 140-seitige Papier verstehe sich als Hilfestellung für die Anwendung von Cannabinoiden bei Schwerstkranken, heißt es dort. Eine Förderung des Freizeitgebrauches von Cannabis wird ausdrücklich abgelehnt.

Ausgewertet wurden knapp 100 wissenschaftliche Publikationen, Veröffentlichungen von Behörden sowie Expertenmeinungen. Außerdem sichteten die Autoren knapp 300 Fachartikel sowie medizinische Datenbanken zum Thema. Beteiligt waren 80 Schmerzspezialisten der DSG und der Deutschen Schmerzliga. Gesammelt und und nach drei Empfehlungsraden eingestuft wurden so Studienergebnisse und praktische Erfahrungen zu Einsatzgebieten wie der Palliativ-Versorgung, der Krebsmedizin oder der Behandlung von neuropsychiatrischen Erkrankungen.

Anspruch auf eine Cannabis-Therapie haben Patienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung dann, wenn keine anderen medizinischen Leistungen zur Verfügung stehen und „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht“. Die Krankenkassen müssen den Einsatz genehmigen und übernehmen im Regelfall die Kosten.

Unsicherheiten im Umgang mit den Substanzen überwinden

Zu empfehlen ist dies laut Praxisleitlinie zum Beispiel bei der Behandlung schmerzhafter Spastiken. Dabei beruft man sich auf Studien und höherrangige Arbeiten, die eine Wirkung von Cannabinoiden nahelegten. Positiv wird auch die Verbesserung der Schlafqualität bei Schwerkranken durch Cannabinoide eingeschätzt. Verwiesen wird hierzu auf mehrere Arbeiten, die eine „grundsätzliche Tendenz zur Verbesserung des Schlafes berichten“.

Ausgewertet werden konnten zudem mehrere Arbeiten zum Einsatz in der Sterbebegleitung (Palliativmedizin). Dabei spielen auch Vor- und Nachteile von Cannabispräparaten gegenüber Placebos eine Rolle. Als überlegen erwiesen sich Erstere bei HIV-Patienten, Gewichtszunahme und Appetit hätten sich signifikant verbessert, allerdings bei gleichzeitig gehäufterem Auftreten psychiatrischer Symptome. Nicht feststellen ließe sich eine solche Überlegenheit gegenüber Placebos bei Tumorpatienten. Als uneinheitlich zeigten sich die Studienergebnisse bei chronischem Schmerz, Rückenschmerz oder dem Fibromyalgiesyndrom (FMS bzw. Muskel- und Faserschmerz). Eine Schmerzreduktion sei bei rheumatoider Arthritis zu beobachten. Die in verschiedenen Untersuchungen berichtete Verbesserung der Schmerzkontrolle durch Cannabinoide sei statistisch aber nicht signifikant.

Die Autoren der Praxisleitlinie betonen ausdrücklich, dass aus der fehlenden oder mäßigen Evidenz von Cannabinoiden keinesfalls auf ein generelle Nichtwirksamkeit geschlossen werden dürfe. Auch deshalb müssten Unsicherheiten im Umgang mit den Substanzen bei Ärzten und Patienten überwunden werden. Dazu wolle man mit der Praxisleitlinie ermutigen. (*) www.dgs-praxisleitlinien.de/index.php/leitlinien/cannabis