Erfurt. Beim Lokalsender Salve TV diskutieren eine Ärztin und ein Krankenkassenvertreter über die Patientenversorgung in Thüringen.

Was können Ärzte tun, damit gesetzliche Versicherte schneller zu einer Behandlung kommen? Geht es nach dem dieser Tage verabschiedeten Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), sollen sie dafür statt der bisher 20 Stunden nunmehr mindestens 25 Stunden in der Praxis für Sprechstunden zur Verfügung stehen.

Bei Praktikern wie der Erfurter Neurologin und SPD-Stadträtin Cornelia Klisch stößt das auf Widerspruch. Zwar stünden bisher 20 Stunden Sprechzeit an ihrem Praxisschild, sagt sie beim Salve-Talk „Am Anger“. Bei gut 1300 Patienten pro Quartal sehe sie aber wenig Luft nach oben.

Zugemacht werde erst, wenn alle behandelt sind, faktisch bringe ihr das schon heute Überstunden. Hinzu kommen Arztbriefe, Krankenhauseinweisungen, Gutachten für Versicherungen, Sozialämter oder Rententräger sowie die Abrechnung, nicht zu vergessen die Hausbesuche. Zeit sei nicht dehnbar, man könne nicht immer noch etwas draufpacken. „Wenn man Mutter ist und auch noch etwas Familienleben haben möchte, wird es schwierig“, sagt Klisch.

Kritik am „Eingriff in die ärztliche Selbstverwaltung“

Thema des aktuellen TA-Talks „Am Anger“ beim Lokalsender Salve TV sind das TSVG und der Ärger, den es innerhalb der Ärzteschaft verursacht. Die neue Arbeitszeitvorgabe ist dabei nur einer von vielen Punkten. So sollen die Terminservicestellen ausgebaut werden sowie rund um die Uhr erreichbar sein. Psychotherapeutische Behandlungen sollen abgestuft erfolgen, um besser zwischen leichteren und schwereren Fällen zu unterscheiden. In unterversorgten ländlichen Gebieten sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) eigene Praxen betreiben, wenn möglich und nötig auch mobil oder telemedizinisch. Nehmen Praxen neue Patienten auf, werden die Behandlungen ohne Budget gesondert und voll vergütet.

Arnim Findeklee, Chef des Thüringer Landesverbandes der Ersatzkassen (vdek) hält die 25-Stunden-Debatte deshalb auch für populistisch überhöht. Tatsächlich arbeiteten schon viele Ärzte so lange. Nur auf die Öffnungszeiten auf dem Türschild zu schauen, sei Unsinn, so der Kassenvertreter.

Laut Findeklee versucht der Gesetzgeber mit dem TSVG ein Problem zu lösen. „Gesetzlich Krankenversicherte sollen gegenüber Privatversicherten nicht benachteiligt werden, das ist ein löblicher Ansatz“, sagt er. An manchen Stellen schieße der Gesetzgeber aber übers Ziel hinaus: Wie die Mediziner sehe man den Eingriff in die ärztliche Selbstverwaltung kritisch.

Moderiert wird die Runde vom stellvertretenden Chefredakteur Thomas Bärsch und von Salve-Geschäftsführer Karl-Heinz Böhm. Was also hilft wirklich gegen zu wenig Sprechzeiten und Ärzte, lautet eine ihrer Fragen. Probleme wie fehlende Praxen auf dem Land oder die Überalterung der Mediziner gehe das Gesetz nicht wirklich an. Dafür brauche es nicht zuletzt mehr Medizinstudienplätze. Als Ärztin sei ihr die Behandlungsqualität wichtig und dass es den Patienten gut geht, sagt Cornelia Klisch. Mehr Zeitdruck im System gehe zu deren Lasten.

Wie lässt sich ärztliche Versorgung gezielt steuern?

In den Terminservicestellen erwarte sie mehr Fachleute, um Fehlzuweisungen zu vermeiden. Um Ressourcen zu sparen, sollten Hausärzte gestärkt werden. Als Lotsen im System könnten sie steuernd eingreifen, wenn Patienten viele Fachärzte gleichzeitig beanspruchen.

Kassenvertreter Arnim Findeklee rechnet damit, dass die neuen Terminservicestellen komplexer aufgestellt sein werden und sowohl bei akutem Handlungsbedarf als auch bei Hausarztterminen mit dem nötigen Sachverstand handeln werden.

Nicht zuletzt machen die neuen Vergütungsregeln für Neupatienten das Gesetz seiner Meinung nach auch sehr teuer. Geld, dass besser in die Ausbildung neuer Ärzte und in den Ausbau der Portalpraxen fließen sollte, findet die Runde.

Wie aber lässt sich ärztliche Versorgung gezielt steuern? Ein objektiver medizinischer Bedarf lasse sich schwer definieren, sagt Arnim Findeklee. Ärztliche Leistungen seien letztlich unendlich vermehrbar, schon jetzt komme jeder Deutsche auf 18 Arztbesuche pro Jahr. Künftig stelle sich damit die Frage, wie man Strukturen sinnvoll gestalten kann. Derzeit würden viele immer noch in die Notaufnahmen der Krankenhäuser gehen, die dort eigentlich gar nicht hingehören. „Der Wildwuchs konterkariert die löblichen Ansätze des Gesetzes“, so Findeklee.

Thüringen als kleines Bundesland geeignet für Modelle

In Sachen Portalpraxen stellt der Kassenvertreter Thüringen aber immerhin schon mal ein besseres Zeugnis aus. Man sei da bereits vorangegangen, unter besonderer Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigung. So gebe es beispielsweise im Kyffhäuserkreis bereits das Modell einer integrierten Versorgung, bei der Kassen und Ärzte gut miteinander kooperierten.

Den Eindruck, das Gesetz bringe kaum mehr als verärgerte Ärzte und magere Verbesserungen für Patienten, wollen beide Gesprächspartner so nicht stehen lassen. Es müsse sich nun zeigen, ob und wie neue Versorgungsstrukturen in der Praxis gelebt werden, sagt Findeklee.

Auch Cornelia Klisch hält vieles für gut. Allerdings warnt sie davor, dem Geld zu viel Raum zu geben. Lobbyisten und große Konzerne versuchten, sich Zugriffes auf Patienten zu verschaffen. „ Wir Niedergelassenen sind das Bollwerk, damit die Patienten nicht als goldene Gans ausgeschlachtet werden“, sagt Klisch. Anderenfalls würden aus 40 Euro-Patienten schnell 400-Euro-Patienten. Handlungsbedarf sieht die Runde nicht zuletzt bei den Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), die nicht selten als Patienten-Staubsauger für Kliniken fungierten. Statt wie beim TSVG die Selbstverwaltung auszuhebeln, sollten Ärzte und Kassen gemeinsam nach Lösungen suchen. Thüringen sei ein kleines Land und geeignet für Modelle.

Zur Sache: Der TA-Fernseh-Talk ist eine Gemeinschaftsproduktion von Thüringer Allgemeine und Salve TV.

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