Ebenshausen. Irmgard und Günter Brodrecht blicken auf 65 gemeinsame Ehejahre zurück. In Ebenshausen fanden sie eine neue Heimat.

Auf 65 Jahre gemeinsame Ehejahre blickten gerade Irmgard und Günter Brodrecht in Ebenshausen zurück. Für die Eheleute selbst war der Tag Anlass zur Freude – „das muss man erst mal schaffen“ - und des Rückblicks.

„Wir war arm, ich war arm, das hat gut zusammen gepasst“, sagt Günter Brodrecht, Jahrgang 1933. Seine zwei Jahre ältere Frau hatte er im Automobilwerk Eisenach kennengelernt. Beide arbeiteten in der Motorradfertigung. Im Heimatort von Günter schlug das junge Paar seine Zelte auf, bekam zwei Kinder, später Enkelkinder und meisterte gemeinsam die Höhen und Tiefen des Lebens. „Klar haben wir uns mal gestritten“, sagt Günter Brodrecht. Das aber sei nur die Gelegenheit zur Versöhnung gewesen.

Wenn seine Frau Irmgard spricht, dann wissen Kenner von Dialekten sofort, wo die Wiege der Frau stand: in Ostpreußen. Das rollende „r“ mit Singsang-Ton verrät sie als ostpreußische Landsfrau. Geboren wurde sie in einfachen Verhältnisse auf einem Gut in der Nähe der Kreisstadt, die damals Angerapp hieß, nahe an der Grenze zu Polen und Litauen. Heute ist das Land russisches Territorium und von Militär bewacht.

Reisebüro verkauft eine Fahrt nach Polen

Wenn Irmgard über die Flucht im Oktober 1944 erzählt, dann überkommen sie schnell emotionale Gefühle. Dann muss sie schon mal tief atmen und innehalten. Was eine 13-Jährige damals erlebte, brannte sich fürs Leben ein. Wenn sie von Ostpreußen spricht, redet sie wie selbstverständlich von „Heimat“. Einmal Ostpreuße, immer Ostpreuße.

Zweimal versuchten Brod-rechts und die beiden Schwestern samt deren Männern ihre alte Heimat zu besuchen, das war 1971 und 2003. Beide Male scheiterte die Unternehmung, erzählt das Paar. 1971 verkaufte dem Paar das Eisenacher Reisebüro die Fahrt an die Wurzeln Irmgards als Reise nach Polen. Eine kurze Zeit nach 1945 war das Gebiet tatsächlich unter polnischer Verwaltung, dann aber hatten es sich die Sowjets anders überlegt und kassierten es ein.

Als Brodrechts 1971 an der polnischen Grenze zur Sowjetunion standen, kurz vor dem Ziel, gab es für sie kein Weiterkommen. Das sollte sich 2003 wiederholen. Zweimal 2000 Kilometer umsonst zurückgelegt. Zuletzt besaßen die Besucher zwar ein russischen Visum, aber an den Zielort kamen sie nicht, berichtet das Ebenshäuser Paar. Sie seien schon auf der Fahrt mit einem russischen Taxifahrer von Militärs beobachtet und dann abgewiesen worden.

Mit einer deutschstämmigen Familie, die auch deutsch sprach, hätten sie freundlichen Kontakt gefunden. Das hätte etwas entschädigt, das Essen und Trinken im örtlichen Lokal für sechs Personen für insgesamt nur 18 Euro ebenfalls. Das Gut, auf dem Irmgard geboren wurde und aufwuchs, ist abgerissen, platt gemacht. Man hätte also sowieso nichts mehr erkennen können. „Nur noch der Teich ist vorhanden“.

In 65 gemeinsamen Lebensjahren lassen sich viele Geschichten erzählen, von den bäuerlich geprägten Eltern Irmgards, die es von der erste Flucht-Station Hötzelsroda auf ein Gut nach Apolda verschlug, von der anfänglichen Mietwohnung des jungen Paares in Ebenshausen und vom kleinen Häuschen, das die AWE-Leute später kauften und zurecht machten. „Früher war hier mal eine Weberei drin“, erzählt der fidele Günter Brodrecht.

Die eiserne Hochzeit wurde natürlich gefeiert, mit der Familie und Bekannten. Dass „die Zeitung kommt“, war für Brodrechts überraschend, aber passend. Beim Bundespräsidenten Steinmeier und Thüringens Ministerpräsidenten Ramelow müssten sie sich ja für die Glückwunschkarten nicht bedanken, aber für die vielen Glückwünsche und Zuwendungen von Leuten und Institutionen aus nah und fern allemal.