Unter dem Motto „The Future Is East - die Zukunft liegt im Osten“ lud die Initiative „Wir sind der Osten“ zum Podiumsgespräch in den Zughafen Erfurt.

Melanie Stein führte persönlich durch den Diskussionsabend im Erfurter Zughafen. Die junge Frau stammt aus Perleberg, heute lebt sie als Journalistin in Hamburg. Im Herbst 2019 startete sie die Initiative „Wir sind der Osten“. Auf dem Internetportal haben seitdem gut 300 Ostdeutsche Fragen zu Biografie und Ansichten beantwortet.

Sie finde es bedauerlich, dass 30 Jahre nach dem Mauerfall immer noch Grenzen gezogen würden, sagte Stein. Auch deshalb lade die Initiative unter dem Motto „The Furture Is East“ ostdeutschen Vertreter aus Wirtschaft, Medien, Politik und Gesellschaft zum Gespräch ein – über Erfolge und Fehler im Einheitsprozess ebenso wie über Möglichkeiten, immer noch Trennendes zu überwinden.

Zum Auftakt in Erfurt gekommen waren der neue Ostbeauftragte der Bundesregierung Marco Wanderwitz (CDU), die Autorin und Kulturjournalistin Jana Hensel von der Wochenzeitung Die Zeit, Dalia Marin, Osteuropa-Expertin und Wissenschaftlerin an der Universität München, Mareike Rauchhaus Gründerin des Fahrrad-Verleihdienstes nextbike sowie der Soziologe Axel Salheiser vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena(IDZ).

Eine Frage, die die Diskutanten in der vollbesetzen Halle 6 des Erfurter Zughafens kontrovers diskutierten, betraf Verletzungen der Ostdeutschen im Einheitsprozess und daraus resultierende Folgen. Es gebe in Ostdeutschland Inseln, in denen es gut laufe. sagte Marco Wanderwitz. „In der Endausbaustufe sind wir vielerorts noch nicht da, wo wir hin wollen und sollen“, sagte der Ostbeauftragte. Jana Hensel bezeichnete die Unterschiede zwischen Ost und West als sehr real, sowohl politisch als auch ökonomisch seien die neuen Länder untereinander näher als zu den West-Ländern. „Das uns das überrascht, liegt daran, dass wir nicht darüber sprechen“, sagte die Autorin. Sie finde es betrüblich, dass der Osten erst einen Aufstand von Rechts brauche, um auf der politischen Landkarte wieder wahrgenommen zu werden.

Für die Wissenschaftlerin Dalia Marin liegt ein Schlüssel zum Verständnis der Situation in Ostdeutschland in der unmittelbaren Wendezeit. Mit der Währungsunion seien die Löhne stark gestiegen. „Ostdeutsche Produkte ließen sich auf diesem hohen Lohn- und Preisniveau nicht mehr verkaufen. Das hat der Wirtschaft in Ostdeutschland einen Schlag verpasst, von dem sie sich seitdem nicht erholt hat“, sagte die Österreicherin. Laut marin musste die Treuhand ganze Betriebe verschenken, um das Manko auszugleichen. Unterstützender Maßnahmen durch die Politik seien ausgeblieben.

In der Diskussion über Ostdeutsche in politischen oder wirtschaftlichen Führungspositionen plädierte Axel Salheiser für einen differenzierten Blick. Die mittelständisch geprägte Thüringer Wirtschaft befände sich zu 70 bis 80 Prozent in Besitz von Ostdeutschen bzw. würden von diesen geführt. Den Verweis auf die Ostdeutsche Angela Merkel im Bundeskanzleramt und den Ostdeutschen Joachim Gauck als langjährigen Bundespräsident wies Jana Hensel allerdings als Alibi-Argument zurück. Beide seien eine Ausnahme, mit dem Verweis darauf werde der Diskurs über die Unterrepräsentanz von Ostdeutschen in Führungspositionen verschleppt.

Dass es sich bei den immer wieder aufflammenden Ost-West-Streitereien wohl auch um ein Generationsproblem handelt, machte die Mareike Rauchhaus deutlich. In ihrem jungen Leipziger Unternehmen arbeiteten Menschen aus ganz Europa. „Niemand weiß oder interessiert sich dafür, wer aus dem Ost- oder Westdeutschland stammt“, so die 40-Jährige gebürtige Erfurterin Sie halte deshalb auch nichts von einer Ostquote, zumal unklar bleibe, ob sie für im Osten Geborene oder grundsätzlich für im osten Lebende gelten soll.

Rechtsextremismus und Populismus, so die Runde, seien letztlich kein nur ostdeutsches Problem. Hotspots gebe es auch im Westen. Als Gründe im Osten wurden fehlende demokratische Erfahrung und Bildung ausgemacht. Hier müssten Prävention und Gegenmaßnahmen ansetzen.