Gera. Nach dem Wahlerfolg der AfD in Gera appelliert Publizist Sergej Lochthofen an junge Menschen, auf Distanz zu ihrer Stadt zu gehen – und ruft bei Politikern Empörung hervor.

Mit seinem Aufruf an junge Menschen, nach dem Wahlerfolg der AfD in Gera die Stadt zu verlassen, hat der bekannte Publizist und ehemalige Chefredakteur Sergej Lochthofen eine Debatte über die Vorzüge der Geburtsstadt des Malers Otto Dix ausgelöst.

„Gera ist ganz und gar nicht trostlos“, sagte Oberbürgermeister Julian Vonarb (parteilos) auf Anfrage. „Viele Menschen, die hier wohnen, besitzen ein hohes Maß an Heimatverbundenheit.“ Gera sei „eine von vier großen Städten in Thüringen, die dynamische Faktoren aufweisen“.

Hans-Jörg Dannenberg, scheidender CDU-Fraktionschef im Stadtrat, sagte unserer Zeitung: „Diese Stadt ist kein braunes Nest. Ich möchte nicht, dass die Menschen wegziehen, sondern sich weiter demokratisch engagieren.“ Die jahrelang fehlende Unterstützung aus Erfurt habe die Situation in Gera erschwert. Besonders ärgere ihn, sagte Dannenberg, dass der Moderator des MDR Lochthofens Thesen nicht eingeordnet habe.

SPD-Bundestagsabgeordnete kritisiert Aufforderung zum Wegzug als Frechheit

In der MDR-Sendung „Fakt ist“, in der auch über das 29-Prozent-Ergebnis der AfD in Gera geredet wurde, hatte Lochthofen am Montag gesagt: „Ich kann nur jedem jungen Menschen sagen: Gehen Sie aus Gera weg! Was wollen Sie in einer Stadt, die so regiert wird und die sich so weiterentwickelt. Das ist eine Loser-Stadt. Und die Entscheidung bei den Kommunalwahlen wird diesen Prozess verstärken.“ Die AfD, mit zwölf Sitzen stärkste Fraktion im 42 Abgeordnete zählenden Stadtrat, könne keine Probleme lösen in der „Stadt, die im Sinken ist“. Die Linke hat acht Sitze, CDU sechs, SPD und Grüne je drei.

Die junge SPD-Bundestagsabgeordnete aus Gera, Elisabeth Kaiser, kritisierte die Aufforderung zum Wegzug als Frechheit. „Ich wünsche mir ein offenes verständnisvolles Miteinander statt Ausgrenzung und Wut“, sagte sie. „Natürlich ist nicht alles perfekt, doch wo ist es das schon?“ Gera sei „eine lebenswerte Stadt, in der viel passiert“. Die Stadt, die einst über 100.000 Einwohner zählte, bewerbe sich als Europäische Kulturhauptstadt, habe eine vielfältige Kulturszene sowie eine sehr gute Wohn- und Lebensqualität zu bezahlbaren Preisen. Erst kürzlich, so Kaiser, seien ein von jungen Menschen geführtes Szene-Café und ein Ton-Studio eröffnet worden.

Einladung an Lochthofen, Gera zu besuchen

SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee wies die Kritik an seiner Geburtsstadt ebenso zurück. Dadurch würden sämtliche Anstrengungen der Menschen in Gera kleingeredet. „Wir haben auf kommunaler und Landesebene vieles in Bewegung gesetzt, um Gera weiterzuentwickeln und lebenswerter zu machen“, sagte Tiefensee. „Die Effekte zeigen sich bereits. Ich lade Herrn Lochthofen herzlich ein, sich die Entwicklung vor Ort anzusehen.“ Sergej Lochthofen war für eine Stellungnahme am Mittwoch nicht zu erreichen.