Rudolstadt. 100.200 Besucher bei Deutschlands größtem Festival für Weltmusik.

Hört man sich unter den Besuchern um, warum sie aus allen Teilen Deutschlands zum Rudolstadt-Festival kommen, dem hierzulande größten für Weltmusik, dann ist fast immer die Antwort: Wegen der einzigartigen Stimmung! Die meisten sind Wiederholungstäter – egal, welcher Länderschwerpunkt gesetzt und welche Bands angekündigt sind. Es war und wird immer sehr gut, sind sich die Besucher sicher und setzten auf die Kompetenz des Organisationsteams.

Auch in diesem Jahr wurde niemand enttäuscht. Mit sehr guten Besucherzahlen – am Donnerstag 10 000 Besuchern im Park und weiteren 5000 in der Stadt, am Freitag 25 000 Besucher und 1400 Innenstadtkarten, am Sonnabend erneut 25 000 Gäste sowie 5800 Besucher in der Innenstadt und gestern nochmals 25 000 Besucher sowie 3000 in der Innenstadt – wurde wieder die Grenze von über 100 000 überschritten. Reibungslos und friedlich funktionierte trotz der vielen Menschen und dem bunten Treiben der gesamte Ablauf. Nicht zuletzt auch wegen der vielen Helfer – rund 800 Einheimische aus dem Landkreis und weitere 1000 Mitarbeiter auch von externen Firmen.

Musikalische, kulturelle und kulinarische Vielfalt

Die chilenische Formation Chico Trujillo beendete gestern Abend mit einer Mischung aus Rock, Punk, Ska, Bolero und chilenischer Tanzmusik im Heinepark das viertägige, kunterbunte Programm. An gleicher Stelle hatte Donnerstagabend – begleitet von starken Regenschauern – Yael Deckelbaum aus Israel mit einem überragenden Konzert das Festival eröffnet. Insgesamt folgten auf den 28 im Stadtgebiet, auf der Heidecksburg und im Heinepark verteilten Bühnen rund 130 Bands und Solokünstler aus 48 Ländern. Eine musikalische und kulturelle Vielfalt, die ihresgleichen sucht.

Traditionell wurden am Samstag auf der Heidecksburg auch die Weltmusikpreise Ruth verliehen: Der Hauptpreis ging an die deutsche Sängerin und Komponistin Cymin Samawatie, die in ihren Ethno-Jazz unter anderem Elemente der Musik der Heimat ihrer iranischen Eltern einfließen lässt. Dine Doneff und Maria Dafka bekamen die Förder-Ruth für ihre Zusammenarbeit als Interpreten einer Musik, die auf mazedonische Lied- und Tanztraditionen verweist. Den Sonderpreis des Festival-Teams bekam der deutsche Liedermacher Gisbert zu Knyphausen und die Ehren-Ruth der Journalist Michael Kleff, ehemaliger Chefredakteur des Fachblatts „Folker“, für sein langjähriges Engagement für die Folk- und Weltmusikszene.

Besonders im Fokus stand diesmal Estland mit seiner außergewöhnlich lebendigen, kreativen Folkszene. Zu den neun eingeladenen Gruppen gehörten unter anderem die Star-Folkies Curly Strings, die am Freitagabend auf der Heidecksburg mit den Thüringer Symphonikern Saalfeld-Rudolstadt zu erleben waren. Schnell war der Schlosshof gefüllt mit neugierigen Musikfreunden, die die interessante Kombination aus Orchester und dem zarten estnischen Gesang lauschen wollten. Fast parallel waren am Freitagabend auf dem Neumarkt mit dem schräg charmanten Duo Puuluup und Maarja Nuut, Künstlerin des Jahres in ihrem Land, zwei weitere Vertreter des Länderschwerpunkts zu erleben. Mit Bombillaz präsentierten sich am Sonnabend Nachmittag und nachts noch eine ganz andere Stilrichtung und echte Stimmungskanonen aus Estland dem Publikum. Denn obwohl in Estland nicht lange die Sonne scheint, wie der Sänger erzählt, macht die Multi-Kulti-Truppe Reggae und besingt kurzerhand die Sonne. Mit einer Unmenge guter Laune und ihrer tanzbaren Musik hat die junge Band schnell das Rudolstädter Publikum auf ihrer Seite und trotz sengender Hitze zum Tanzen gebracht. Zur Abkühlung nutzten etliche ein Bad in der kühlen Saale – gern auch nackt.

Getanzt wurde viel an diesem Wochenende in Rudolstadt. Auch zu Solo (Le Vent du Nord & De Temps Antan), zwei frankokanadische Folkbands aus Quebec, die mit unbegreiflichem Tempo Akkordeon, Drehleier, Fiddle und vieles mehr spielen und dabei ganz lässig Freitagnacht ihr Publikum im Heinepark beeindruckten. Das gelang den drei Multiinstrumentalisten von De Temps Antan auch nochmals am Samstagnachmittag auf dem Markt. Wieder lieferten die sympathischen Herren schwindelerregend schnelle und großartige Musik, stark von irischen, schottischen und französischen Einflüssen geprägt.

Am späten Sonnabend wurde es wieder richtig voll zwischen den beiden Bühnen im Heinepark. Zunächst drängten sich die Besucher zum Auftritt des A-Cappella-Quintetts „Voxid“ aus Leipzig, die ihr neues Album „Shades Of Light“ mit nach Rudolstadt gebracht hatten. Fünf Ausnahmestimmen, die ihr Publikum staunen ließen angesichts ihrer facettenreichen Popmusik und der Tatsache, dass alles Hörbare allein durch ihre menschlichen Stimmen produziert wird. Gleich im Anschluss betrat mit Graham Nash (76) eine Woodstocklegende für eines von nur drei Deutschlandkonzerten die große Konzertbühne – nicht der einzige große Name auf dem Festival. Denn auch die US-Countryrock-Legende Steve Earle & The Dukes machten am Donnerstagabend Halt in Rudolstadt.

Festivaldirektor Ulrich Doberenz übergibt an Laura Dake

Oft sind es auch die Straßenmusiker, die für Überraschungen und gute Stimmung sorgen. Einer von ihnen ist Frontmann Max Wilhelm, geboren in Rudolstadt und groß geworden mit dem jährlich wiederkehrenden Festival in Rudolstadt, mit seinem Leipziger Trio Wilhelm. Er hat mit seinem neuen Song „Tanz aus der Reihe“ den passenden Titel mit in diese Stadt gebracht, die vier Tage lang musikalisch, kulinarisch, kleider- und frisurentechnisch und generationsübergreifend die ganze Welt ist.

Der Abschluss des diesjährigen Rudolstadt-Festivals war zugleich der Abschied für Ulrich Doberenz als Festivaldirektor. Seit 1991 bildete er gemeinsam mit Petra Rottschalk eine Doppelspitze und hat gemeinsam mit Programmdirektor Bernhard Hanneken das Festival maßgeblich geprägt und deutschlandweit etabliert. „Ich bin kein Mensch, der ewig an seinem Amt klebt. Es wird Zeit, dass auch neue Ideen dazu kommen, ohne an dem Konzept zu rütteln, denn das hat sich bewährt.“ Am Sonnabend hatte er im Schminkkasten vor interessiertem Publikum über die spannenden 28 Jahre in dieser Funktion geplaudert. Seine Nachfolgerin wird Simone Dake, derzeit Leiterin des Festival- und des Künstlerbüros.

2019 steht beim Rudolstadt-Festival (4. bis 7. Juli) der Iran im Mittelpunkt. Ein Land, dessen reiche musikalische Tradition bislang eher einseitig wahrgenommen wird, wie Programmdirektor Bernhard Hanneken betont. Es wird auch ein Tanz des Jahres ins Programm genommen: die französische Bourrée, ursprünglich ein barocker Hoftanz im schnellen 2/2-Takt.

Rudolstadt-Festival 2018: Besucheransturm am Samstag

Ulrike Kern