Schleiden. Ist das dort oben auf dem Berg etwa eine alte Ritterburg? Nein. Im idyllischen Nationalpark Eifel lockt ein mahnender Monumentalbau mit düsterer Geschichte viele Touristen an.

Den riesigen Gebäudekomplex oberhalb der Urfttalsperre im Nationalpark Eifel könnte man für eine mittelalterliche Burg halten, trutzig in den Hang gebaut. Graue Schieferdächer, wehrhafte Bruchsteinfassaden. Doch weit gefehlt.

"Ganz im Gegenteil", sagt Katharina Wonnemann. Die 28 Jahre alte Historikerin leitet gerade eine Besuchergruppe an den klotzigen Bauwerken der Ordensburg Vogelsang vorbei. "Ab 1934 wurden die monumentalen Bauten innerhalb von nur zwei Jahren errichtet als Schulungsstätte für den zukünftigen Führungsnachwuchs der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei NSDAP." Die Festung war eine Nazi-Kaderschmiede. Heute ist es ein sogenannter Internationaler Platz, ein Mahnmal.

Der Rundgang über das weitläufige Gelände wird täglich angeboten. Es geht vom ehemaligen Adlerhof über den Appellplatz zu den Kameradschaftshäusern, in die Burgschänke, vorbei am Haus des Wissens und in das ehemalige belgische Truppenkino.

Rassismus statt Ritterlichkeit

"Immer wieder stellen Besucher die Frage: Woher stammt der Name NS-Ordensburg?", berichtet Wonnemann. Die Nationalsozialisten machten eine Namensanleihe an den Deutschen Orden, einen Kreuzritterorden. Das haben Forschungen ergeben. "Das positive Bild der Ritterlichkeit wurde in die Nazi-Ideologie übertragen."

Rund 280 000 Besucher kamen in der Zeit vor Corona jährlich nach Vogelsang in den Südwesten von Nordrhein-Westfalen. Tagestouristen, Biker, Wanderer, Radler, auch zahlreiche Schulklassen.

Inzwischen erläutert Referentin Wonnemann beim Rundgang den Alltag in der NS-Ordensburg. In zehn Kameradschaftshäusern waren jeweils 50 Lehrgangsteilnehmer untergebracht, drei Lehrgänge wurden von 1936 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 durchgeführt.

Politikunterricht und die nationalsozialistische "Rassenlehre", blanker Rassismus also, sowie Drill und Sport standen auf dem Lehrplan. Meist waren die Männer zwischen 20 und 25 Jahre alt, man hatte sie als kommende NSDAP-Führungselite ausgewählt.

Ein Mahnmal mit wechselvoller Geschichte

Die kolossalen Bauten von Vogelsang zeigen, dass die Architektur ein Ausdruck von Macht und Herrschaft der NSDAP sein sollte. Alle Gebäude wurden von dem Kölner Architekten Clemens Klotz geplant - ein Name wie ein Programm. Mehrere überdimensionale Arbeiten des Bildhauers Willy Meller wie zum Beispiel das noch erhaltene Fackelträger-Relief sollten darüber hinaus die Nazi-Ideologie festigen.

Die Geschichte von Vogelsang lasse sich in drei Zeitperioden teilen, erklärt Wonnemann: Die Zeit der NS-Ordensburg ab 1934, die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg von 1945 bis Ende 2005 mit dem britischen und dann belgischen Truppenübungsplatz und schließlich Vogelsang IP, internationaler Platz der Gegenwart.

Als bedrückend und beklemmend empfinden manche Besucher die NS-Ordensburg Vogelsang, die heute als eine der größten baulichen Hinterlassenschaften aus der Nazi-Zeit gilt.

Im Gästebuch finden sich etwa diese Einträge: "Ein eindrucksvoller Ort, der deutlich macht, um was es geht, wenn wir von Frieden, Solidarität und Menschlichkeit sprechen - unschätzbar wertvoll!"

Eine mörderische Ideologie

Vogelsang war als Ausbildungsstätte ein Täter-Ort, sagt der wissenschaftlicher Leiter des Vogelsang IP, Stefan Wunsch. "Dutzende Lehrgangsteilnehmer wurden ab 1941 als Gebietskommissare zur regionalen Verwaltung besetzter Gebiete etwa in der Ukraine, in Belarus und den baltischen Staaten eingesetzt." Dort seien die linientreuen Kommissare an der Vertreibung und dem Tod von Juden, Sinti und Roma in den jeweiligen Regionen eng beteiligt gewesen.

Zahlreiche Schriftdokumente, Originaltöne und Fotos in der Vogelsanger Dauerausstellung ("Bestimmung: Herrenmensch, NS-Ordensburgen zwischen Faszination und Verbrechen") belegen die Aussagen von Historiker Wunsch. Es ist eine Ausstellung, die Besucher nachdenklich machen soll und überleitet zu den Folgen der Nazi-Ideologie: Holocaust, Zweiter Weltkrieg, Vertreibung, Flucht.

Heute ist Vogelsang mehr als eine Touristenattraktion in der Eifel. "Wir sehen Vogelsang IP als internationalen Platz, an dem Toleranz und Respekt oberste Gebote sind", sagt Stefan Wunsch. 250 Flüchtlinge haben hier eine Bleibe gefunden, fernab von Krieg und Elend.

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