Berlin. Das Coronavirus hat die Kulturszene brach gelegt. Museen sind geschlossen, Opernhäuser dicht, Konzerte abgesagt. Künstler wie Einrichtungen suchen neue Wege zum Publikum.

Nofretete ist allein zu Haus. Wo sich sonst Besucher um den riesigen Glaskasten mit der weltbekannten Büste der ägyptischen Königsgemahlin drängen, herrscht seit Tagen gähnende Leere.

Das Neue Museum mit Nofretete und die benachbarten Häuser locken sonst jährlich gut drei Millionen Besucher aus aller Welt auf die Museumsinsel im Herzen Berlins. Das Coronavirus sorgt nicht nur hier für verschlossene Türen. Bundesweit haben Museen geschlossen, sind Theater und Opernhäuser dicht, werden Konzerte abgesagt.

Doch "Einschränkungen machen kreativ", sagt Berlins Kultursenator Klaus Lederer. Und so bemühen sich Kulturschaffende in der ganzen Republik, ihre Künste in eine digitale Welt zu überführen. Zumindest einen Vorteil gibt es am heimischen Computer: der Eintritt ist frei.

Der Online-Genuss ist dabei nicht immer von großen Häusern abhängig. Dort geht der bekannte Pianist Igor Levit zwar ein und aus. Seit Beginn der Coronakrise überträgt er aber mit sehr einfachen Mitteln über seine Social-Media-Accounts fast täglich Konzerte von Flügeln daheim oder unterwegs. Mit Bach, Beethoven oder Schubert erreicht Levit dabei bis zu 300.000 Zuschauer. Er will damit "unser inneres Leuchten behalten. Auch darum geht es."

Im Konzerthaus Berlin organisierte Intendant Sebastian Nordmann ein hochkarätig besetztes Konzert per Livestream, unter anderem mit dem Pianisten Lang Lang, Geiger Daniel Hope, Sopranistin Olga Peretyatko oder Sänger Max Raabe. Häuser mit Weltruhm wie die Bayerische Staatsoper in München oder die Berliner Staatsoper Unter den Linden haben sich ganze Online-Spielpläne für Ballett und Oper verpasst. "Il Trovatore" oder "Lucia di Lammermoor", "Falstaff", "Tristan und Isolde" oder "Schwanensee" schaffen es damit direkt in die Social-Distance-Area von Kulturliebhabern. "Carmen" etwa verfolgten so 160.000 Zuschauer auf der ganzen Welt.

Die Berliner Philharmoniker bieten während der Schließung ihres Saals mehr als 600 Konzerte als Streaming an. Mit der Aktion #UnitedWeStream kämpft die international beliebte Clubszene der Hauptstadt um "Berghain" oder "Watergate" um ihr Überleben und streamt täglich DJ-Sets live über das Internet.

Viele Museen befassen sich schon seit Jahren weit abseits von außergewöhnlichen Schließungsnotwenigkeiten mit neuen digitalen Wegen. "Da geht es nicht so sehr darum, ein Museum digital zu besuchen, sondern darum, wie digitale Medien genutzt werden können, um einen Museumsbesuch noch attraktiver und interessanter zu machen", weiß Monika Hagedorn-Saupe vom Institut für Museumsforschung in Berlin. Die Diplompädagogin und Mathematikerin koordiniert das vom Bund mit 15 Millionen Euro geförderte Projekt Museum4punkt0.

In vielen Museen etabliert sich virtuelle Realität neben Skulpturen, Installationen oder Gemälden. So erlaubt etwa das Frankfurter Städel Museum per Virtual-Reality-App und Smartphone einen Gang durch historische Sammlungsräume. Das Mainzer Museum für Antike Schifffahrt lockt virtuell in einen antiken Superfrachter. Und das Deutsche Museum in München schickt Besucher per VR-Brille und Controller zum Fluggleiter Otto Lilienthals oder gleich mit dem Lunar Roving Vehicle auf die Mondoberfläche. Der Mondrover ist Teil des Modellprojekts, mit dem Museen Möglichkeiten der Virtual Reality (VR) austesten.

"Jeder kennt Mona Lisa oder Nofretete, hat sie im Katalog gesehen", sagt Hagedorn-Saupe. Solche Highlights müssten nicht im Internet kontextualisiert werden. "Aber anderen Dinge müssen halt überhaupt erst einmal bekannt gemacht werden." Das lockt Menschen ins Museum. "Heute muss man online präsent sein, um auf sich aufmerksam zu machen, damit die Leute sagen: Mensch, das möchte ich mir angucken."

Ein Ziel von Museum4punkt0 sei, die Erkenntnisse "möglichst vielen Museen zur Nutzung zur Verfügung zu stellen". Aber was kann ein kleineres Museum jetzt machen? Das Coronavirus hat ja keine Zeit für digitale Vorläufe gelassen. "Kleine Geschichten erzählen", rät Hagedorn-Saupe. "Museen könnten jeden zweiten Tag oder einmal die Woche ein neues Objekt aus dem Haus auswählen und das online vorstellen." Ein Kunstwerk des Tages, ein Objekt der Woche. "Wir haben ja alle unsere Smartphones." Schon damit ließen sich ohne viel Aufwand oder riesigen Bedarf an Speicherkapazitäten kleine Präsentationen produzieren. Auch Kooperationen mit lokalen Medien seien möglich.

Einige haben ihre Tore bereits ganz weit digital geöffnet. Das Neuen Museum mit Nofretete oder das benachbarte Pergamonmuseum lassen sich mit virtuellen Rundgängen erkunden. Solche Entdeckungstouren bieten auch das Städel Museum in Frankfurt/Main, das Museum für Hamburgische Geschichte, Schloss Sanssouci in Potsdam, das Ozeaneum in Stralsund, Münchens Deutsches Museum, das Nürnberger Museum Industriekultur, Zeppelin-Museum Friedrichshafen, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Bauhaus Dessau, das Düsseldorfer Museum Kunstpalast oder die Kunsthalle Bremen. Dafür arbeitet Google Arts & Culture nach eigenen Angaben mit weltweit mehr als 2000 Institutionen zusammen, darunter eben auch viele Museen in Deutschland.

Wie wichtig solche digitalen Angebote sein können, erlebt gerade der Leiter der Uffizien in Florenz, Eike Schmidt, im Corona-gebeutelten Italien. "Die Bevölkerung will sich nicht nur den ganzen Tag vor den Fernseher setzen und im Sekundentakt über die aktuellste Nachrichtenlage informiert werden. Sie hat einen wirklichen Durst nach Kunst und Kultur", sagte der Kunsthistoriker der Münchner "Abendzeitung". Nun stellen Aufsichten ihre liebsten Säle und Kunstwerke online vor. "La mia sala" heißen die kurzen Filme auf Facebook oder Instagram. Schmidt sieht die Situation auch als Chance: "Das ist ja das Tolle an unserer digitalisierten Welt, dass wir unsere Kontakte in einer Form halten können, die zuvor nicht möglich war."