Köln. Über Weniges regt man sich in Deutschland so sehr auf wie über die Bahn. Zwei “Zeit“-Journalisten zeigen auf, warum das Zugfahren in der Bundesrepublik in Wirklichkeit immer besser wird. Und die Bahn letztlich womöglich zur Klimaretterin werden kann.

In der Corona-Krise gab es im öffentlichen Leben im Grunde nur zwei Konstanten: offene Supermärkte - und fahrende Züge, selbst wenn kaum einer in ihnen saß. Das hat der Deutschen Bahn etwas gebracht, das sie sonst eher, nun ja, selten erhält: Sympathien.

Der Deutschen liebster Boxsack hat in den vergangenen Jahrzehnten eine Menge einstecken müssen - ohne Frage häufig auch aus gutem Grund. Verspätete Züge, ausgefallene Klimaanlagen und gesperrte Bordtoiletten haben dem Image schwer geschadet. Doch die Bahn ist - man glaubt es kaum - besser als ihr Ruf. Und mehr noch: In Zeiten eines stärkeren Klima- und Umweltbewusstseins ist sie gar zu einem Hoffnungsträger geworden. Die Bahn, dieses alte, rumpelige Stück Ärgernis, ein Hoffnungsträger? Ja, tatsächlich. Und die beiden Autoren Mark Spörrle und Claas Tatje verraten auch, warum.

Auf jede Frage eine Antwort

Die beiden Redakteure der Wochenzeitung "Die Zeit" sind dank unzähliger Pendelkilometer und Geschäftsreisen per Zug leidgeprüfte Bahn-Experten. Diese Erfahrungen hat Spörrle unter anderem im Bestseller "Senk ju vor träwelling" verewigt, Tatje im "Fahrtenbuch des Wahnsinns". Gemeinsam haben sie nun das neue Sachbuch "Tschusing Deutsche Bahn today. Klimafreundlich reisen, ohne wahnsinnig zu werden" vorgelegt. Immer mit dabei: viel Humor, eine gesunde Prise Leichtigkeit und natürlich die richtige Bahncard.

Auf fast alles, was sich Bahnfreunde und Bahnkritiker immer gefragt haben, finden Spörrle und Tatje eine Antwort - oft selbst, manchmal im Gespräch mit Psychologen, Dauerbahnfahrern, Bahnmitarbeiterinnen, einer Reisebloggerin oder dem Restauranttester Christian Rach. Wie kriege ich einen Sitzplatz ohne Reservierung? Wann kann man sein Fahrrad sorgen- und stressfrei mit in den Zug nehmen? Wie wird aus einer klemmenden Tür eine halbe Stunde Verspätung? Und was hat das arme Hamm in Westfalen damit zu tun?

Die Leserinnen und Leser lernen auf diesen knapp 270 Seiten so ziemlich alles über die Bahn - von der (gar nicht ironisch gemeinten) "Wunderapp DB Navigator" über den richtigen Sparpreis bis hin zur Mutter aller Bahnregeln: "Steigen Sie nicht um!" Und die vielleicht wichtigste aller Bahnlektionen: "Behalten Sie die Nerven."

Einen Plan in Sachen Klima- und Umweltschutz

"Tschusing Deutsche Bahn today" ist keine Abrechnung, sondern vielmehr eine Art gut gelauntes Selbsthilfebuch für Bahngeschädigte und die, die es werden wollen. "Vor dem Gesetz und der Deutschen Bahn sind in Deutschland alle gleich", machen die beiden Bahnprofis klar. Letztlich zeigen sie in dem Zuge (!) auch auf, wohin die Reise der Deutschen Bahn führen kann - aufs Abstellgleis in Kassel-Wilhelmshöhe oder in ICE-Geschwindigkeit in eine Zukunft mit modernem Service, mehr Verlässlichkeit und noch viel wichtiger: mehr Klima- und Umweltschutz. Und die Bahn hat dabei tatsächlich einen Plan.

Erst kürzlich hat die Europäische Umweltagentur EEA die wenig überraschende Erkenntnis präsentiert, dass die Zugfahrt weiter die umwelt- und klimafreundlichste Art des Reisens ist - vom Gehen und Radfahren einmal abgesehen. Dem stimmt auch Tatje zu: "Die Bahn ist einfach das effizienteste grüne Transportmittel", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Wir glauben daran, dass sie ein Schlüssel sein kann, um den Klimaschutz in Deutschland voranzubringen."

Bis 2030 sollen die deutschen Züge laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung sage und schreibe doppelt so viele Fahrgäste transportieren wie 2015. Eine große Aufgabe, bei der viele Milliarden aus dem staatlichen Klimapaket helfen sollen. Ohne die Bahn wird Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen, wie die beiden "Zeit"-Redakteure feststellen. Und überhaupt: "Sosehr Sie auch leiden mögen, Sie werden es nicht schaffen, sich von Deutschlands größtem, wichtigstem und chaotischstem Logistikunternehmen zu trennen."

Es läuft mehr richtig als falsch

Spörrle und Tatje geht es in ihrem neuen Buch auch um Verständnis für die so oft gescholtene Bahn. Manche Probleme entstehen nicht, weil es eben die (Zitat) "Scheiß-Bahn" ist, sondern aus Gründen, die in einem Land wie Deutschland unvermeidbar sind. Und in der Summe läuft mittlerweile mehr richtig bei der Bahn als falsch, wie vor allem in der zweiten Hälfte des Buches immer klarer wird. "Die Bahn ist DAS Verkehrsmittel der näheren Zukunft, da gibt es kein Vertun und keine Alternativen", schreiben die Autoren. Und Tatje sagt: "Wenn diese Pandemie einigermaßen durchgestanden ist, dann wird die Bahn ganz schnell viele Fans bekommen."

Literatur:

Mark Spörrle, Claas Tatje: Tschusing Deutsche Bahn today. Klimafreundlich reisen, ohne wahnsinnig zu werden, Lübbe, Köln, 269 Seiten, 14,90 Euro, ISBN-13: 978-3-431-05015-8

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