Jena. Auf dem Konto der Jenaer Tafel fehlen mutmaßlich 100.000 Euro. Die Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet.

Die Jenaer Tafel schlüpft unter das Dach des Awo-Regionalverbandes Mitte-West-Thüringen. Mit neuen Strukturen will der Verein den Fortbestand seiner karitativen Arbeit sichern. Gleichzeitig steht der Verdacht der Untreue im Raum. Ein Fachanwalt prüft derzeit, ob weitere Anzeigen wegen Untreue und möglicher weiterer Delikte gegen ein früheres Vorstandsmitglied bei der zuständigen Staatsanwaltschaft einzureichen sei. Die Rede ist von Unregelmäßigkeiten in Größenordnung.

Der Verdacht

Die Anzeige stamme vom 17. April, sagt der amtierende Vorsitzende des Vereins, Manfred Müller. Dabei geht es um den Verdacht, dass eine Summe von 100.000 Euro veruntreut worden sei; Geld, das in den vergangenen dreieinhalb Jahren von den Konten der Tafel an „unberechtigte Personen im In- und Ausland“ überwiesen worden sei. Müller sagt, dass er den Kontakt zu dem für Wirtschaftskriminalität zuständigen Staatsanwalt in Gera gesucht habe, weil der Verdacht der Geldwäsche bestehe. Beim Finanzamt in Jena habe er sich rückversichert, dass die Gemeinnützigkeit des Vereins nicht gefährdet sei. Das verantwortliche Vorstandsmitglied sei im März zurückgetreten.

Wie der Fall ans Licht kam

Seit etwa einem Jahr gibt es Gespräche mit der Arbeiterwohlfahrt und dem Tafelverein: Im Zuge der Übernahme des operativen Geschäfts durch die Arbeiterwohlfahrt erfuhr die neue Tafelleiterin Katja Pfeifer, dass die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, die über viele Jahre die Einnahmen-Ausgaben-Rechnungen des Jenaer Tafel e.V. erstellt habe, das Mandat niedergelegt habe. Sie sei im Jahre 2022 auf Unregelmäßigkeiten in der Rechnungslegung gestoßen, die offenbar eine gravierende Größenordnung erreicht habe.

Woher das Geld stammt

Die Tafel benötigt etwa 400.000 bis 500.000 Euro im Jahr, um den Betrieb des Tafelhauses in Neulobeda zu garantieren. Zwei Drittel dieser Summe stammten von den Bedürftigen, zahlten sie doch einen Betrag fürs Mittagessen und für die Lebensmittelausgabe. Der Rest werde über Spenden finanziert. Müller sprach von einem Cashdurchlauf von einer halben Million Euro und von einem Warendurchsatz von 1,5 Millionen Euro. Er verhehlt seine Enttäuschung nicht, denn schlussendlich sei das Geld von den Bedürftigen veruntreut worden. „Wir setzen zu viel Geld um, um diesen Verein wie einen Kegelclub zu führen“, sagt er.

Schadensbegrenzung

„Bist Du noch an Bord?“ fragt Müller im März Katja Pfeifer. Sie sagt ebenso zu wie der Awo-Vorstandsvorsitzende. Frank Albrecht fordert aber, dass der Verein Tabula rasa machen müsse. Auch das Sozialdezernat der Stadt wurde vorab informiert. Die Awo finanziert zunächst ein Drittel der Kosten der hauptamtlichen Struktur, nachdem auch die Stadt Jena einen Antrag auf Förderung dieses Vorhabens in gleicher Höhe für zunächst zwölf Monate bewilligt habe. Das letzte Drittel müsse der Verein aufbringen.

Die neue Tafelleiterin

Katja Pfeifer blicke auf mehrjährige Erfahrung in unterschiedlichen organisatorischen Verantwortungen zurück und habe zuletzt ein großes Impfzentrum in Weimar aufgebaut und zwei Jahre lang geleitet. Die Awo gab den Tipp. „Katja Pfeifer ist ein Multitalent, wie geschaffen für diese vielfältige Aufgabe“, sagt Frank Albrecht.

Die Zukunft des Tafelvereins

Neue Partner: Die neue Tafel-Leiterin Katja Pfeifer, Emöke Oláh-Schenzel, bei der Awo zuständig für den Geschäftsbereich Beratung und Jugend,  der amtierende Vereinsvorsitzende Manfred Müller und AWO-Chef Frank Albrecht.
Neue Partner: Die neue Tafel-Leiterin Katja Pfeifer, Emöke Oláh-Schenzel, bei der Awo zuständig für den Geschäftsbereich Beratung und Jugend, der amtierende Vereinsvorsitzende Manfred Müller und AWO-Chef Frank Albrecht. © Thorsten Büker

Der Verein bleibt zunächst eigenständig und soll ein kooperatives Mitglied im Awo-Verband werden. Dabei soll vor allem das Tafelhaus fachlich von der Awo geführt werden. Es gehört nunmehr zu dem Geschäftsbereich Beratung und Jugend, den Emöke Oláh-Schenzel leitet. Manfred Müller will, so sagt er es am Dienstag, sehr schnell eine ordentliche Mitgliederversammlung einberufen. Dabei soll auch der komplette Vorstand des Vereins gewählt werden. Zumindest für eine Übergangszeit stünde er als Vorsitzender zur Verfügung – auch wenn er in diesem Jahr 70 Jahre alt werde. Der Vorfall kommt für die Tafel zur Unzeit, war man doch gerade dabei, den Fortbestands der Tafel, die derzeit mit über 70 ehrenamtlichen Mitarbeitern nahezu 1000 bedürftige Personen aus Jena mit Lebensmitteln unterstützt, zu sichern.

Der Vertrauensverlust

Man sei überzeugt, dass Katja Pfeifer mit Unterstützung der Awo und der verbliebenen Vorstandsmitglieder des Jenaer Tafel e.V. den Weg hin zur Erneuerung finden und beschreiten werde. Gerade in diesen schwierigen Zeiten sei eine funktionsfähige Tafel ein elementarer Beitrag zur Stärkung des sozialen Gefüges der Stadt. „Wir bitten daher alle Bürger und Organe Jenas, Frau Pfeifer und alle Ehrenamtlichen der Tafel weiterhin zu unterstützen“, sagt Müller. Wesentlich sei, die Vorgänge rückhaltlos aufzuklären und einen Neuanfang hinzubekommen. Dieser Prozess habe begonnen.

„Als großer regionaler Wohlfahrtsverband wissen wir den hohen Wert ehrenamtlicher Arbeit zu würdigen. Die Herausforderung bei der Jenaer Tafel sei jedoch bereits seit mehreren Jahren deutlich größer, als die Möglichkeiten einer ehrenamtlichen Leitung in moderner und transparenter Weise bewältigen können“, sagt Frank Albrecht. „Das Fehlen der veruntreuten Geldmittel, aber auch die Ruf- und Vertrauensschädigung, die durch diese Handlungen entstanden sind, sind herbe Verluste und ein harter Rückschlag für die Jenaer Tafel“, erklärt Müller. Er schloss zivilrechtliche Klagen nicht aus, um sich das mutmaßlich veruntreute Geld zurückzuholen.