Erfurt. Ein Beamter will eine Straftat beobachtet haben und erstattet Anzeige. Der Fall nimmt eine überraschende Wendung.

Thüringer Polizisten sollten Vorsicht walten lassen, wenn sie Anzeigen wegen möglicher Straftaten fertigen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte gestern, „Strafanzeigen nur noch unter eng begrenzten Vorgaben zu erstatten, da sonst die Kostenübernahme drohe“.

Was wie ein schlechter Scherz klingt, ist ernst gemeint, bestätigt Thüringens GdP-Chef, Kai Christ, dieser Zeitung. Grund für das ungewöhnliche Vorgehen der Polizeigewerkschaft sei eine Entscheidung des Amtsgerichtes in Sonneberg (1 DS 332 Js 10152/18). In dem der Redaktion vorliegenden Urteil heißt es: Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten habe der Anzeigeerstatter zu tragen.

Gemeint ist ein Polizeikommissar, der während seines Urlaubs eine Straftat beobachtet haben will und zur Anzeige gebracht hatte. Dafür habe er sich vorübergehend in den Dienst versetzt, erklärt die Polizeigewerkschaft.

Der Anzeigenvorwurf gegen einen Mann lautet, dass dieser mit einem Auto gefahren sei, ohne im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis gewesen zu sein. Der Beamte will das Auto anhand seines Nummernschildes erkannt haben, weil dieses ihm aus seinem Dienst bereits bekannt war. Er habe nach dem Anhalten gesehen, dass der von ihm beschuldigte Mann aus dem Auto ausgestiegen sei.

Innenministerium und Polizei schweigen

Eine Frau saß laut Anzeige auf dem Beifahrersitz. Sie kannte der Beamte laut Urteilsbegründung offenbar nicht. Weil er dem Fahrzeug nicht folgen konnte, fertigte er die Anzeige.

Laut Gericht erklärten aber zwei Zeugen, dass sie zur fraglichen Zeit mit dem genannten Auto unterwegs waren und an dem Ort gehalten hatten. Der Angeklagte selbst sagte demnach aus, einem Bekannten geholfen zu haben. Er bestreite den Tatvorwurf. Letztlich folgte der Richter den Aussagen der Zeugen und des Angeklagten. Es erging ein Freispruch.

Die Staatsanwaltschaft, die nach der Anzeige des Beamten Anklage erhoben hatte, beantragte nun, von diesem Beamten die Kosten des Verfahrens einzufordern.

Der Richter folgte diesem Antrag und die GdP rät nun den Thüringer Polizisten zur Vorsicht. Kai Christ stellt ausdrücklich klar, dass damit keine Kritik am Urteil des Gerichts verbunden ist. Weil der Richterspruch aber rechtskräftig sei, erging die Warnung an die Beamten.

Weder die Landespolizeidirektion in Erfurt noch das Thüringer Innenministerium sahen sich gestern in der Lage, eine Stellungnahme abzugeben.

Damit bleiben gleich mehrere Fragen unbeantwortet: Welche Auswirkungen kann die Kostenentscheidung des Sonneberger Amtsgerichts für die künftige Polizeiarbeit haben? Welche Unterstützung erfahren Thüringer Polizisten in solchen Fällen durch ihre Dienstherren? Wie muss künftig mit dem Legalitätsprinzip umgegangen werden? Denn Polizeibeamte sind mit wenigen Ausnahmen verpflichtet, jeder Straftat nachzugehen.