Wenn vergangene Krisen auf künftige Kreativität verweisen. Christian Werner über das Album „McCartney“.

Wer weiß schon, wie viele kreative Werke wir der Corona-Krise verdanken werden? Von Künstlern, die in der Selbstisolation – bei aller berechtigter Sorge um ihre Existenz – ohne Verpflichtungen und unliebsame Ablenkungen einen unverstellten Fokus auf ihre Berufung haben. Irgendwann wird sich dieser kreative Schub Bahn brechen.

Fast auf den Tag genau vor 50 Jahren erschien ein Werk, das zu Beginn einer Krise entstanden ist und somit im Rückblick einen Ausblick auf das gibt, was kommen könnte. Zurück in die Zukunft, nur musikalisch statt cineastisch. Das simpel betitelte „McCartney“ war das erste Solo-Album des schönen Noch-Beatles.

Paul McCartney hatte zu dem Zeitpunkt zwar nicht mit einem Virus zu tun, aber mit einer persönlichen Krise, die sein berufliches Erfolgsmodell abschaffen und sich später zu einer Depression auswachsen sollte: Die Beatles waren in Auflösung begriffen.

Neue Musik in der musikalischen Isolation

Das berühmte vierblättrige Kleeblatt hatte sich zu einer Pusteblume gewandelt; unmöglich, die kreativen Egos wieder einzufangen.

Doch Paul hatte Glück, er hatte Linda. Nun waren nicht mehr John, George und Ringo seine Familie. Er hatte nun eine neue, eine richtige gefunden. Auch wenn die Trennung der Band offiziell nicht vollzogen war und er am meisten damit haderte, so kreierte McCartney in der musikalischen Isolation das, was er am besten kann: neue Musik.

Das Cover des Albums „McCartney“ von Paul McCartney.
Das Cover des Albums „McCartney“ von Paul McCartney. © Concord / Universal

Als er sein Solo-Album am 17. April 1970 der Welt zugänglich machte, wartete die letzte Beatles-Platte „Let it be“ noch auf ihre Veröffentlichung. Der Tag gilt trotzdem als das offizielle Ende der Gruppe.

„McCartney“ ist kein ausgefeilt produziertes Album, wie man es von den späten Beatles gewohnt war. Vielmehr präsentierte der talentierte Liverpooler einen musikalischen Gemischtwarenladen, scheinbar aus dem Handgelenk geschüttelt und ohne erkennbare Hit-Ambitionen.

Alle Instrumente spielte er selbst ein, als Aufnahmegerät diente ihm ein rudimentärer Vierspur-Rekorder im Wohnzimmer – Lo-Fi vom Klangexperten. Die Songs bleiben oft skizzenhaft, sprühen aber vor Experimentierfreude. Es gibt zudem ungewöhnlich viele Instrumentalstücke.

McCartney nahm Songs auf, die er bereits mit den Beatles geprobt hatte wie „Teddy Boy“ oder „Junk“, die es aber nicht auf die letzten Alben schafften. Eine Single wurde nicht ausgekoppelt, allerdings gilt vielen „Maybe I’m amazed“ als eines der besten Stücke des Musikers.

Reinhören!

Wir haben die Playlist zum Krisen-Modus. Hören Sie unsere Auswahl an Songs für die Heimarbeit, zur Kurzweil oder für andere Ablenkungen in Selbstquarantäne. Die Titel werden mit jeder neuen Folge unserer Kolumne erweitert. Und hier erfahren Sie, warum die Songs ausgewählt wurden.