Berlin. Die Campi Flegrei in Italien sorgen immer wieder für Erdbeben. Was macht es mit den Bewohnern, in ständiger Angst leben zu müssen?

"Studien gehen davon aus, dass etwa 10 bis 30 Prozent der Opfer eines Erdbebens an einer Traumafolgestörung erkranken", erklärte der stellvertretende Vorsitzende der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie, Helge Höllmer, dieser Redaktion bereits anlässlich der katastrophalen Erdbeben in Syrien und der Türkei. Doch was passiert mit Menschen, die in ständiger Angst leben, weil in ihrer Region immer und immer wieder Erdbeben stattfinden?

Dieser Situation sind aktuell die Bewohner in der Region um Neapel in Süditalien ausgesetzt. Dort gibt es 250 Erdbeben pro Woche, wie italienische Medien berichten. Die Erde rund um die Küstenstadt Pozzuoli, unter ihr liegt der Supervulkan, hebe sich demnach außerdem um 1,5 Zentimeter an – und das pro Woche. Der letzte Erdstoß der Stärke 4,0 habe sich am Montagabend in den sogenannten Phlegräischen Feldern ereignet. Lesen Sie auch: Vulkanausbruch in Italien: Video zeigt Schreckensszenario

Das Erdbeben am Montag sorgte für Panik unter den Bewohnern

Dabei handelt es sich um eine riesige aktive Vulkanregion westlich des Vesuvs. Das Epizentrum des Erdbebens lag nach Angaben des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (INGV) in einer Tiefe von etwa drei Kilometern zwischen den Städten Neapel und Pozzuoli.

In den Phlegräischen Felder kam es in den vergangenen Tagen zu einer Reihe von Beben. Am Mittwoch wurde dort ein Erdstoß der Stärke 4,2 gemessen – das stärkste Erdbeben seit 40 Jahren in der Gegend.

Es sei bei dem Beben am Montag zwar nicht zu Schäden oder Verletzten gekommen, allerdings habe es für Panik unter den Bewohnern gesorgt, wie der italienische Zivilschutz im vormals Twitter genannten Onlinedienst X erklärt.

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Erdbeben in Italien: Opfer klagen über „Syndrom der Phlegräischen Felder“

Dass ein solches Erlebnis gravierende Folgen für die Betroffenen haben kann, erklärte auch Höllmer. "Betroffene können Traumafolgestörungen entwickeln, Stresserkrankungen, wie die posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen oder auch Angst-, Zwangs- und Suchterkrankungen – manche erkranken chronisch, manche genesen, bei anderen kommt die Krankheit immer mal wieder", so der Experte.

Wie aus italienischen Medienberichten hervorgeht, seien einige dieser Symptome nun auch bei den Opfern der Erdbeben rund um Neapel zu beobachten. Die Einwohner würden über Einschlafprobleme, Reizbarkeit, ständige Kopfschmerzen sowie über Panik- und Angstattacken klagen. Die Leiden bezeichnen sie als das "Syndrom der Phlegräischen Felder".

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Expertin erklärt: "Die psychische Belastung ist aktuell eine viel größere"

Wie der Psychologe und Psychotherapeut Diego De Luca gegenüber der italienischen Lokalzeitung "Corriere del Mezzogiorno" hätten viele Bewohner Schwierigkeiten, die aktuellen "Angstzustände zu akzeptieren und zu verstehen".

In der Regel sei es zwar so, dass Menschen, die in Regionen mit erhöhtem Risiko für Erdbeben leben, diese Angst "verdrängen" würden, wie Gabriele Binger vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen auf Anfrage dieser Redaktion erläutert. "Der Verstand sagt ihnen: Das kann kommen. Aber diese permanente Bedrohung ist offensichtlich nicht aushaltbar. Deswegen haben wir als Menschen Mechanismen entwickelt, dass wir da trotzdem leben können." Wenn die Abstände zwischen den Beben jedoch immer kleiner werden, – so wie es aktuell der Fall ist – sei die Situation eine andere. Dann herrsche laut Binger "akute Gefahr" und die psychische Belastung sei dadurch eine viel größere.

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Stressstörung: Mit diesen Maßnahmen soll den Opfern geholfen werden

Der Bürgermeister von Pozzuoli, Luigi Manzoni, habe daher Psychologen in die Stadt gerufen, um den Bewohnern zu helfen. Man wolle ihre moralische Unterstützung stärken. "Die Bürger sind gestresst, wir können das verstehen", so Manzoni.

Stadtratsmitglieder haben außerdem einen Antrag unterzeichnet, um eine mobile psychologische Einrichtung für Minderjährige ins Leben zu rufen, die aufgrund der Erdbeben Angst und Unsicherheit durchleben. Die Einrichtung soll sie gezielt dabei unterstützen, die derzeitige kritische Phase, die die Campi-Flegrei-Region durchmacht, zu bewältigen.

"Wir als Erwachsene leben bereits mit Ängsten und Sorgen aufgrund der Erdbeben. Stellen Sie sich vor, was es für ein Kind bedeutet, mit einem Erdbeben aufzuwachen und in der ständigen Angst vor einem weiteren Beben einzuschlafen", betonte Stadtrat Riccardo Volpe, der Initiator dieses Vorschlags.