Berlin. Eine Begleiterscheinung von Corona hat bisher wenig Beachtung gefunden. Doch bei einer Variante tritt das Symptom nun gehäuft auf.

Tränende und verklebte rote Augen, Jucken, Schmerzen: Bindehautentzündungen sind lästig und schränken die Betroffenen im Alltag stark ein. Was viele nicht wissen: Die Konjunktivitis tritt oft als Begleiterscheinung zu Viruserkrankungen auf und gilt sogar als Symptom bei Corona-Infektionen. Besonders eine neuere Variante wird mit ihr in Verbindung gebracht – doch Forschung und Medizin stehen vor einem Rätsel. Warum?

Obwohl die Bindehautentzündung oder Konjunktivitis als Corona-Symptom kaum beachtet wird, ist sie seit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 bekannt. Sowohl das Robert Koch-Institut (RKI) als auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) listet Bindehautentzündungen und andere Augen-Irritationen als Symptom einer Corona-Infektion auf. Das RKI benannte sie als eines der „weiteren Symptome“, geht aber nicht näher darauf ein.

Dabei könnte das womöglich vielen Patienten und Patientinnen helfen. Denn mittlerweile ist aus Studien bekannt: In seltenen Fällen kann eine Bindehautentzündung das erste oder sogar einzige Indiz für die Covid-Erkrankung sein. Das Problem: Die Corona-Bindehautentzündung unterscheidet sich optisch nicht von anderen Bindehautentzündungen.

Bindehautentzündungen können auch durch das Coronavirus ausgelöst werden.
Bindehautentzündungen können auch durch das Coronavirus ausgelöst werden. © Shutterstock/ Lightspring | Unbekannt

Corona: Darum sind die Augenentzündungen für Mediziner ein Problem

„Es gibt derzeit keine Möglichkeit, klinisch den Zusammenhang zwischen der Entzündung und einer Coronavirus-Genese zu beweisen“, sagt der Mediziner Thomas Reinhard. Er ist Direktor der Universitäts-Augenklinik in Freiburg und forscht zur Gesundheit der Horn- und Bindehaut. „Ein positiver PCR-Test am Auge sagt nichts aus“, erklärt Reinhard gegenüber unserer Redaktion. „Immerhin kann es auch sein, dass die Entzündung andere Ursachen hat oder keine Infektion vorliegt.“

Tatsächlich treten Bindehautentzündungen häufig als Folge verschleppter Viruserkrankungen und Infekte auf: Wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) erklärt, können sowohl Viren als auch Bakterien, in seltenen Fälle auch Pilze, die Augenerkrankung auslösen. Besonders Masern- und Adenoviren gelten als Verursacher. Bei den Adenoviren, die vor allem respiratorische Erkrankungen auslösen, spricht man von einer hochansteckenden Adeno-Konjunktivitis oder einer Augengrippe.

Medizinisch lasse sich in solchen Fällen ein Zusammenhang aus der zeitlichen Korrelation herstellen, erklärt Reinhard. „Man kann manchmal sagen, dass beispielsweise eine Corona-Infektion der Atemwege vorliegt und in diesem Rahmen wahrscheinlich auch die Bindehautentzündung entstand“, so der Mediziner. Allein: Ob die Entzündung das Resultat eines bereits geschwächten Immunsystems oder der Vorbote einer Corona-Infektion war, lässt sich nicht zweifelsfrei nachweisen.

Eine Corona-Variante sorgt besonders oft für Bindehautentzündungen

Auch deshalb gibt es keine belastbaren Zahlen darüber, wie häufig Bindehautentzündungen und andere Augenirritationen im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion auftreten. Klar scheint allerdings: Manche Mutationen des Virus könnten die Entzündungen eher auslösen als andere.

Denn dieses Jahr rückte eine neue Corona-Variante die Bindehautentzündung wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Das Symptom tritt offenbar vermehrt im Zusammenhang mit der Variante XBB.1.16 auf, auch bekannt unter dem Namen Arcturus. Bereits im April warnten US-amerikanische Gesundheitsbehörden, dass Erkrankte mit Arcturus „mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Konjunktivitis als Symptom ihrer Covid-Infektion“ beobachten könnten.

Der indische Kinderarzt und Covid-Experte Vipin M. Vashishtha erkannte das Symptom derweil besonders bei Kindern: Er habe „nicht-eitrige, juckende Bindehautentzündungen mit verklebten Augen“ bei Kleinkindern behandelt, die er in früheren Wellen nicht gesehen habe, schrieb der Mediziner auf X/Twitter. In Deutschland gehörte die Arcturus-Variante bisher nicht zu den besonders verbreiteten Varianten, die WHO führt sie jedoch als Variante von Interesse (VOI).

Bei einer Corona-Variante sind besonders Kinder von Bindehautentzündungen betroffen.
Bei einer Corona-Variante sind besonders Kinder von Bindehautentzündungen betroffen. © iStock | FamVeld

Bindehautentzündung durch Corona: Forscher warnten schon zu Beginn der Pandemie

Das Auge ist im Zusammenhang mit dem Coronavirus aber nicht nur wegen der möglichen Entzündungen relevant. Thomas Reinhard warnt: Es kann auch die Eintrittspforte für das Virus sein. „Viren können über den Tränen-Nasen-Weg vom Auge in die Nase oder in die Schleimhäute des Rachens gelangen“, erklärt der Mediziner. „Dort können sie in den Atemwegen eine Entzündung auslösen.“

Die Bindehautentzündung kann also auch ein wichtiger Transportweg für das Virus in den Körper sein. „Über die Membranen und Rezeptoren der Bindehaut baut es Kontakt mit den Zellen auf“, sagt Reinhard. „Das geht über Eiweißstrukturen, in denen es ‚andocken‘ und sich dann in den Zellen vermehren kann.“ Sobald sich die Zellen auflösen, werde das Virus freigesetzt – die Infektion im Körper habe somit begonnen.

Das belegen inzwischen auch Studien: So entdeckten indische Forschende im vergangenen Jahr, dass Bindehautentzündungen häufig als erstes Symptom einer Corona-Infektion auftreten – noch bevor sich klassische Symptome wie Husten, Schnupfen oder Gliederschmerzen bemerkbar machen. Ein Forschungsteam aus Katar fand 2021 sogar heraus, dass die Konjunktivitis in seltenen Fällen sogar das einzige Symptom einer ansonsten asymptomatischen Corona-Infektion sein kann.

Bindehautentzündung: An diesen Symptomen erkennen Sie sie

Viele Mediziner und Medizinerinnen übersehen die Bindehautentzündung als Symptom einer Corona-Infektion. Umso wichtiger ist es, dass Betroffene selbst darauf achten, ob vor, während oder nach ihrer Covid-Erkrankung auch eine Konjunktivitis auftrat. Doch woran erkennt man eine Bindehautentzündung und wie kann man sich davor schützen, dass das Coronavirus über das Auge in den Körper eintritt?

Die Corona-Bindehautentzündung kann über

Aerosole

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    oder durch Reibung mit kontaminierten Händen ausgelöst werden. Bindehautentzündungen verbreiten sich schnell, und das sowohl von einer Person zu einer anderen als auch innerhalb ein und derselben Person: Wie die BZgA erklärt, startet die Entzündung oft an einem Auge und geht dann auf das zweite über. Die bakterielle und virale Bindehautentzündung haben dabei ähnliche Symptome und unterscheiden sich vor allem in einem Punkt.

    Zu den Symptomen einer Konjunktivitis gehören:

    • Rötung des Auges
    • Schwellung des Lides
    • Jucken
    • Brennen
    • bei bakterieller Infektion: Absonderung einer weißlich-gelben Flüssigkeit, die das Auge verklebt
    • bei viraler Infektion: Absonderung einer weißlich-wässerigen Flüssigkeit

    Kommen Sehbeschwerden hinzu, sollen Betroffene einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen. In seltenen Fällen kann eine Bindehautentzündung auch auf die Hornhaut übergehen und eine schmerzhafte Keratitis oder Hornhautentzündung auslösen, so die BZgA. Der Schutz vor bakteriellen und viralen Bindehautentzündungen ist zum Glück wenig kompliziert.

    Bereits einfache Hygienemaßnahmen wie häufiges Händewaschen helfen. Zudem sollte der Kontakt mit den Augen vermieden werden – ebenso wie der Kontakt mit Erkrankten und allen Gegenständen, die die Person benutzt. Dazu gehören Waschlappen, Kosmetika, Augentropfen oder Kissenbezüge. Bindehautentzündungen können nicht nur von Mensch zu Mensch übertragen werden, sondern auch über kontaminierte Gegenstände, etwa Türklinken oder Griffe im öffentlichen Nahverkehr.

    Eine Bindehautentzündung lässt sich oft durch einfache Hygienemaßnahmen vermeiden.
    Eine Bindehautentzündung lässt sich oft durch einfache Hygienemaßnahmen vermeiden. © iStock | has2006

    Bindehautentzündung bei Corona: Drohen Langzeitschäden?

    Und wenn es doch passiert und eine Corona-Bindehautentzündung das Auge durchzieht? Dann besteht zunächst kein besonderer Grund zur Sorge. Meist heilt die Entzündung innerhalb weniger Tage von allein. Dennoch können im schlimmsten Fall auch Folgeschäden am Auge zurückbleiben, warnt Thomas Reinhard.

    „Normalerweise leben sehr viele Bakterien auf der Augenoberfläche und arbeiten friedlich mit dem Auge zusammen“, sagt Reinhard. „Doch wenn die Oberfläche geschädigt wird, können sie innerhalb weniger Stunden eindringen und Probleme machen. Corona kann eine solche Oberflächenschädigung verursachen.“ So könne es zu Schädigungen des dreischichtigen Tränenfilms kommen, der aus Fett, der sogenannten wässerigen Phase und der Schleimschicht – den Muzinen – besteht.

    „In den vier Augenlidern befinden sich zwischen 80 und 100 Drüsen, die das Fett für den Tränenfilm produzieren“, erklärt Reinhard. „Prinzipiell ist es denkbar, dass das Virus auch diese Drüsen infiziert.“ Auch die Funktion der sogenannten Becherzellen könne durch die Entzündung eingeschränkt werden. Die Becherzellen produzieren Schleim für den dritten Teil des Tränenfilms.

    Trotz ihrer fehlenden Bekanntheit ist die Bindehautentzündung bei Corona also durchaus ein relevantes Symptom. Mediziner und Medizinerinnen sollten es nicht ignorieren: Denn selbst wenn die Konjunktivitis in den meisten Fällen gut verläuft, so kann ihre Untersuchung doch viele Antworten liefern. Antworten, die der Wissenschaft beim Erforschen von Covid-Symptomen bisher womöglich verborgen geblieben sind.