Gera. Der Aufruf zum Putsch war an Medien, Abgeordnete und DDR- Ministerien adressiert. Die Blockade der Volkskammer sollte dem Treiben ein Ende bereiten.

Das Fernschreiben vom 9. Dezember 1989 umfasste zwei A4-Seiten und war an den Ministerpräsidenten der DDR sowie Volkskammer, Ministerien, Parteien und Medien adressiert. Die Verfasser unterschrieben „Kollektiv des Bezirksamtes für Nationale Sicherheit Gera und die Kreisämter“, so nannte man inzwischen die Staatssicherheit. Offizielle war deren Umwandlung in ein „AfNS“ mit der Regierungsbildung durch Hans Modrow Mitte November erfolgt.

Noch wollen die alten Kader ihre Macht nicht hergeben. Seit Anfang November rauchten die Öfen, in denen Stasiakten verbrannt wurden. „Heute morgen wir – morgen ihr“, warnten die Geraer Alt-Tschekisten ihre Genossen, Kampfgefährten sowie Patrioten im In- und Ausland. Gerichtet war der Putschaufruf gegen die friedliche Revolution in der DDR, die dabei war, Diktatur und Despotie durch Demokratie und Offenheit zu ersetzen.

Podcast: „Stasi organisierte wohl Besetzung der Zentrale in Berlin selbst“

Das wollten die Putschisten stoppen. Wörtlich heißt es im Pamphlet: „Sollte es uns allen gemeinsam nicht kurzfristig gelingen, die Anstifter, Anschürer und Organisatoren dieser hasserfüllten Machenschaften gegen die Machtorgane des Staates zu entlarven und zu paralysieren (sic!), werden diese Kräfte durch ihre Aktivitäten einen weiteren Teil der Bevölkerung gegen den Staat, die Regierung und alle gesellschaftlichen Kräfte aufbringen. Was kommt dann?“ Zum Schutz des sozialistischen Staates müssten die bewaffneten Organe weiter bestehen und aktiv handeln können. In der Thüringer Bürgerbewegung war man alarmiert, sagt der damalige Sprecher des Neuen Forums, Matthias Büchner. Nach den Besetzungen in Erfurt und Gera und der Sicherung der Akten lief die Entwaffnung der hochgerüsteten Mielke-Truppe. Hinzugekommen sei die Sorge, dass an der Bürgerbewegung vorbei an Strukturen für einen Verfassungsschutz gebastelt wurde. Mit einem Aufruf des Erfurter Bürgerkomitees zur Blockade der Volkskammer am 12. Januar 1990 sollten die Abgeordneten zur sofortigen Auflösung der Stasi und aller Nachfolgeeinrichtungen gezwungen werden.

Verteilt wurde der Appell bei der Donnerstag-Demo in Erfurt am 11. Januar. Auch wenn letztlich nicht viele mitgemacht hätten, habe er die Gelegenheit genutzt, Modrow einen Forderungskatalog zu übergeben. Der Vorschlag, an diesem Tag auch die noch unbehelligte Berliner Stasizentrale friedlich zu übernehmen, sei vor Ort abgelehnt worden. „Organisator in Berlin und Ansprechpartner für mich beim Neuen Forum war Reinhardt Schult. Er erwiderte damals, dass die Besetzung am 15. Januar stattfinden würde, die Tschekisten wüssten dies auch. Das legt für mich bis heute die Vermutung nahe, dass die Besetzung der Normannenstraße von der Stasi mitorganisiert war und die Protestierenden nur als Statisten dienten“, sagt Matthias Büchner.