Axel Eger über Sead Hasanefendic.

Fast 3000 Kilometer ist die Donau lang. Für Sead Hasanefendic symbolisiert sie ein ganzes Handball-Leben. In Novi Sad, in Kroatien, ist er vor 70 Jahren am Ufer des großen Stromes aufgewachsen. In Tuttlingen, am Oberlauf des europäischsten aller Flüsse, läutete die Trainerlegende am Wochenende mit dem Countdown zum Zweitligaaufstieg die Wiedergeburt des Eisenacher Handballs ein.

So wie die Donau auf ihrem Weg von West nach Ost zehn Länder verbindet, lebt Hasanefendic die Idee von Europa. Geboren auf serbischem Boden, in den Adern kroatisches Blut, trägt er den bosnischen Namen Sead. Sead, der Glückliche. Das ist er zeitlebens. Ein Handball-Glücklicher.

Und ein Weltenbummler. Doch keiner wie Rudi Gutendorf, der es in manchen Jahren auf vier Stationen brachte und als Fußballtrainer mit den meisten Engagements im Guinnessbuch steht. Aber auch kein Sir Alex Ferguson oder Guy Roux, der unglaubliche 44 Jahre lang AJ Auxerre die Treue hielt.

Ägypten soll 1980 seine erste Station werden, doch dann gerät er mit Hassan Moustafa, dem schon damals mächtigen Verbandspräsidenten, aneinander. Wegen des Ramadans soll Hasanefendic nach 22 Uhr trainieren. Da liege ich im Bett, hat er gesagt.

Er geht in die Schweiz, formt sechs Jahre lang eine Mannschaft, die später Arno Ehret von ihm erbt. Ein noch größeres Denkmal hat er sich in Tunesien gesetzt. König Said Hassan Afendic, wie sie ihn respektvoll rufen, führt die Afrikaner bis in die Weltspitze.

In Deutschland freilich halten sie ihm noch immer jene Szene vor, als er im WM-Spiel 1982 in den Schlusssekunden beim Wurfversuch von Erhard Wunderlich einen sechsten Schweizer Feldspieler auf das Feld schiebt und mit dem Auftrag „Los, halt ihn fest“ den deutschen Sieg verhindert. Die Regelwidrigkeit wird erst tags darauf entdeckt.

Wer in so vielen Kulturen unterwegs ist, muss anpassungsfähig sein. Vielleicht ist dies Hasanefendics größte Stärke. „Ich war eigentlich nie unzufrieden“, sagt er.

Eine Aufgabe wie die Relegation nimmt er mit allem Ernst in Angriff. Und aller Gelassenheit seiner 40 Trainerjahre. Im 30-stündigen Countdown vor dem Spiel in Konstanz ist die Nervosität allgegenwärtig. Doch Hasanefendic besitzt die Gabe, allein durch Anwesenheit zu beruhigen. Leicht gebeugt, mit einem Gang, der an Heiner Brand erinnert. Präsent, aber nie laut.

Er wirkt geradezu asketisch, wenn er morgens den Espresso zum Tisch bugsiert und mittags sein Essen mit Krautsalat und einem Brötchen beginnt, während manche seiner Spieler schon den zweiten Gang zum Büffet hinter sich haben. Als wolle er auch hier zeigen: Handball ist ein einfaches Spiel. Laufen, werfen und shoot. Nur die Schlechten machen es kompliziert.

Auch mit fast 71 bleibt er der akribische Arbeiter. Das spüren die Spieler. Würde er sagen, wir sollen von der Tribüne springen, würden wir drängeln, wer der Erste sein darf, beschrieb Torhüter Stanislaw Gorobtschuk einmal den Respekt der Mannschaft.

Hasanefendic jammert nicht, er stellt fest. Wenn er fast am Rande bemerkt, dass Erfolge in der Abwehr geschmiedet werden, wird sein Wunsch nach einem Torhüter erhört. Die Münze, mit der er zurückzahlt, ist der Erfolg. Stück für Stück hat er den ThSV in nur einem Jahr verändert.

Seine Devotionalien sind schlicht. Eine Trillerpfeife und ein paar A4-Blätter, die in einer zerknitterten Prospekthülle stecken. Vor dem Spiel in Konstanz hat er die Kabinenwand mit A2-Blättern beklebt. Auf ihnen sind taktische Varianten skizziert. Notfallregeln für die Spieler zum Nachlesen. Falls es auf der Platte brennt.

Einen solchen Handball-Gelehrten entlässt man nicht. Nicht in Eisenach. Sein Vertrag läuft noch ein Jahr. Doch im Prinzip besitzt er per Handschlag einen Vertrag auf Lebenszeit.

Manager René Witte würde ihn gern halten, auch ohne Traineramt. Als Mann für die internationalen Kontakte. Als Gesicht eines Vereins, der gerade dabei ist, sich neu zu erfinden. Der Umworbene überlegt tatsächlich, in Eisenach ein Haus zu kaufen und zu bleiben. Obwohl seine Augen leuchten, wenn er von Zagreb erzählt, der schönen Hauptstadt Kroatiens. Dort lebt seine Mutter. Sie ist 92. Der Sohn telefoniert nach jedem Spiel mit ihr.

Doch ehe der Übergang auf der Trainerbank moderiert wird, fließt noch viel Wasser die Donau hinab. Mit seinen Eisenacher Jungs steht Sead, der Glückliche, ja erst am Anfang des großen Handballstromes. Trotz dieser ersten Heimkehr in den guten Hafen – die Reise ist noch lang.