Axel Lukacsek über ein heißes Olympia in einem Jahr in Tokio.

Christian Thiel hat seinen Plan konsequent durchgezogen. Er könnte als ziemlich gutes Beispiel dienen, was mit eiserner Disziplin so alles möglich ist. Als der passionierte Läufer vor ein paar Wochen beim Thüringen-Ultra in Fröttstädt die 100 Kilometer in 9:14:13 Stunden bewältigte und Dritter wurde, offenbarte er sein Erfolgsrezept. „Ich bin seit drei Wochen jeden Morgen um 4.20 Uhr aufgestanden, um mich an die frühe Startzeit zu gewöhnen“, sagte Thiel mit Blick auf den Start in aller Herrgottsfrühe.

Bei den Olympischen Sommerspielen in einem Jahr in Tokio ist es für die Marathonläufer ebenso ratsam, einen gut funktionierenden Wecker mitzunehmen – oder eben am besten gleich den Körper ans Aufstehen zu unchristlichen Zeiten zu gewöhnen. Schließlich fällt in Japans Hauptstadt schon um 6 Uhr der Startschuss. Und für die Leichtathletik-Fans an der Strecke heißt es damit ebenso, am Abend zuvor früh ins Bett zu gehen.

Aber die ungewöhnliche Startzeit noch vor dem Frühstück hat durchaus einen Sinn. Schließlich will man der Hitze aus dem Weg gehen. Legt man allerdings die aktuellen Temperaturen für Tokio zugrunde, ist all das nur halbherziges Vorhaben. Denn in diesen Tagen fällt die Temperatur in den Nachtstunden auf 23 bis 27 Grad ab, weshalb man kaum von Abkühlung sprechen kann. Eine relative Feuchte von 70 bis 90 Prozent als zusätzliche Belastung für den Körper muss sozusagen noch draufgerechnet werden.

In diesen Tagen haben die Organisatoren schon mal geübt, um der Hitzewelle zu trotzen. Bei einem Wettbewerb der Beach-Volleyballer wurden kostenlos Faltfächer und Handtücher verteilt. Was es aber heißt, auf den Einlass zu warten, trainierten 150 freiwillige Helfer. Die eine Hälfte harrte unter freiem Himmel – oder besser gesagt in der sengenden Hitze – aus. Der andere Teil reihte sich in einem klimatisierten Zelt auf, was – welch Wunder – deutliche Unterschiede aufwies. Aber es gibt noch weitere Kniffe, über die diskutiert wird. Zum Beispiel darüber, die Straßenoberfläche für den Marathon, die Wettbewerbe der Geher oder der Radsportler mit einem bestimmten Belag zu beschichten, um die Temperatur zu senken.

Um für eine willkommene Abkühlung zu sorgen, sollen Ventilatoren und Wassersprüher so groß wie Feuerwehrautos zur Verfügung stehen. Und weil ja eine schöne Atmosphäre gerne von so mancher Strapaze ablenkt, will man Absperrzäune mit Blumen schmücken. 1964 war man schlauer. Als vor 55 Jahren zum ersten Mal die Sommerspiele in Japans Hauptstadt gastierten, fand das Olympia-Spektakel im Oktober statt. Damals stand Tokio als Ausrichter, der 1940 wegen des Krieges nicht zum Zuge kam, sozusagen an der Schwelle zu einer neuen Zeit. Während die olympischen Leichtathletik-Wettbewerbe zum letzten Mal auf einer Aschenbahn ausgetragen wurden, ermöglichte modernste Technik zur Datenübertragung die ersten voll elektronischen Sommerspiele.

Aber manche Probleme lassen sich weder mit Blumen oder Wassersprühern kaschieren – egal zu welcher Jahreszeit. Dass nämlich Wettbewerbe im Baseball oder Softball in der Präfektur Fukushima und damit nur 50 Kilometer vom im Jahr 2011 havarierten Atomkraftwerk stattfinden sollen, hat einige Menschen auf die Palme gebracht. Als man im Herbst 2013 allerdings die Spiele vergab, galt wohl das wirtschaftskräftige Japan noch als die beste Wahl im Duell gegen Istanbul mit dem Syrien-Krieg in der Nachbarschaft und Madrid, wo eine Schuldenkrise das Land im Griff hielt.

Jene Probleme jedoch dominieren offenbar kaum die Schlagzeilen. Denn für die 339 Wettkämpfe im kommenden Jahr sind bereits etwa 3,2 Millionen Eintrittskarten verkauft worden. Insgeheim spekulieren die Japaner auf neun Millionen verkaufter Billets. Dass bislang die gigantische Summe von mehr als 20 Milliarden US-Dollar in die Vorbereitung des Olympia-Spektakels geflossen sind, stört in der asiatischen Wirtschaftsmacht offenbar kaum jemanden.

Die Athleten zerbrechen sich derweil den Kopf, wie sie vor der Wärme schützen können. Vor ein paar Tagen haben die Freiwasserschwimmer eine Ahnung bekommen, was sie in einem Jahr erwartet. Bei einem Testwettkampf um 7 Uhr herrschten bereits 30 Grad. Das Wasser stank, die Sicht war trüb. London-Olympiasieger Wussama Mellouli aus Tunesien sprach vom wärmsten Rennen seiner Karriere. Die Japanerin Yumi Kida machte Nägel mit Köpfen. Damit sie nicht überhitzte, trank sie im Morgengrauen vor dem Start Eiswasser.