Axel Eger über den Wert des Dementis.

Nun hebt das Jahr die Sense hoch, so steht‘s bei Kästner, und mäht die Sommertage wie ein Bauer. Mit ihnen: die Basketballer bei der WM, die Volleyballerinnen bei der EM. Und seit dem Gastspiel der fliegenden Holländer auch die Löwsche Illusion, das fußballerische Russland-Debakel im Achtzehnerjahr sei überwunden. Abschiede allerorten. Jene Kunst, die das Herz hartnäckig sich weigert zu erlernen.

Vielleicht hat der Kopf ihm deshalb die Zunge mit der Kraft zum Dementi zur Seite gestellt. Was ungeachtet der phonetischen Nähe rein gar nichts mit Demenz zu tun hat, weil der Betroffene keinesfalls dement, sondern sehr wohl erinnernd wie wissend ist. Das Dementi ist das Umstandskleid sich anbahnender Veränderungen, bemerkte Frankreichs früherer Präsident Jacques Chirac einmal. Eingeständnis durch Leugnen heißt das Rezept.

Am Sonntag, als es die Spatzen von den Dächern pfiffen, hat Volker Reinhardt den Abschied von Rot-Weiß-Trainer Thomas Brdaric deshalb nicht verneint, er hat ihn dementiert. Ein himmelweiter Unterschied. Der allgemeingültigen Dementi-Lehre folgend hat Erfurts Insolvenzverwalter damit bestätigt, was zuvor Gerücht war. Man glaube nichts, bis es offiziell bestritten wird. Wer diesem immergrünen Grundsatz folgt, fährt jederzeit gut.

Denn: Dass Brdaric nun doch in Erfurt bleibt, ist keinesfalls dem Dementi geschuldet, sondern der sogenannten Kehrtwende. Sie ist der reale point of return, den nicht einmal der Dementeur erahnen kann. Der unerwartete Kurswechsel, der dem Dementi posthum und unverdient den Rang der Richtigkeit verleiht. Im Falle des rot-weißen Fußballlehrers war es die ebenso prosaische wie kurzfristige Rücknahme des Angebotes durch den Chemnitzer FC. Künstlerpech.

Generell gehört der tägliche Widerruf zum Fußball wie der Schwindel zum Leben. „Ausnahmsweise brauche ich keine Notlüge“, sagte Frankfurts Sportchef Fredi Bobic, als die Gerüchte um den Wechsel von Torjäger Jovic nach Madrid nicht abreißen wollten, es aber tatsächlich noch keinen Kontakt gab. Und als Werder Bremen Claudio Pizarro zum dritten Mal an die Weser holte, dies aber lange bestritt, verwob Sportdirektor Rouven Schröder alles in dem schönen Satz: „Die Dementis waren eine Notlüge.“

Das Dementi lebt, weil im Geschäft mit dem Ball zu viele mitverdienen. Fristen wollen eingehalten, Millionen kalkuliert, Klauseln beachtet werden. Als im Frühjahr HSV-Boss Ralf Becker öffentlich die Entlassung von Trainer Hannes Wolf bestätigt hatte, meldete sich der Zweitligist umgehend zu Wort. Becker sei falsch zitiert worden, die Zukunft des Trainers noch gar nicht beschlossen. Das ist natürlich ein halbherziges Dementi. Ein gelernter Leugner hätte sich nicht so vage geäußert. Er hätte Wolf den Rücken gestärkt. Und ihn ein paar Tage später auch hinausgeworfen.

Es gibt das vorauseilende Dementi („Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen“) und sogar das dementierte Dementi. Als einst beim SC Freiburg der Abschied von Robin Dutt allgemeiner Konsens war, spielte der Trainer mit den Spekulationen. Mal gab er ihnen Nahrung, mal wiegelte er ab. Dann titelte eine Agentur „Dutt dementiert Abschied“, worauf der Klub sofort Dutts Dementi dementierte.

Eine entfernte Verwandte des Dementis ist die technische Panne. Dank ihrer Universalität, mit der sie höhere Gewalt heuchelt und niemanden in Haft nimmt, kommt sie zum Zuge, wenn angesichts vollendeter Tatsachen jegliches Leugnen zwecklos geworden ist. Wie am Samstag, als das Erste, dem am fußballfreien Wochenende der Handball-Gipfel zwischen Magdeburg und Kiel wie ein reifer Apfel in den Schoß gefallen war, 40 Sekunden vor der Schlusssirene einfach aus der Live-Übertragung ausstieg. So hält man die Spannung hoch.

Was für ein Glück, dass nach der „technischen Panne“ zufällig ein Werbespot bereitlag, der die Zeit bis zu den Lottozahlen überbrückte. Mit dem freundlichen Hinweis, im Internet könne man den verpassten Rest jederzeit nachsehen, scheute der Sender zusätzlich keine Mühe, den Zuschauer, dieses analoge Alt-Wesen, gleich mal an die schöne neue Digital-Welt zu gewöhnen.

Später sprach man immerhin von Kommunikationsproblemen, also einer Art humaner Panne. Wer trotzdem den Schluss zieht, der Werbekunde sei den Öffentlich-Rechtlichen heiliger als der Beitragszahler, weil der Werbekunde im Ge­gensatz zum Beitragszahler erst überweist, wenn auch gesendet wird, dem würde die ARD mit dem Mittel der Wahl antworten. Einem Dementi.