Axel Lukacsek über Wintersport in frühlingshafter Umgebung.

In der U-Bahn von Oslo kann es durchaus vorkommen, dass sich Freizeitsportler in kompletter Skilanglauf-Montur zwischen die Fahrgäste quetschen. Der Wintersport ist mitten in der norwegischen Hauptstadt auch dort zu besichtigen, wo man ihn gar nicht vermutet. Aber selbst im hohen Norden kann es inzwischen vorkommen, dass die Nächte vielleicht bitterkalt werden, aber kein Schnee vom Himmel fällt. Und das in einem Land, in dem angeblich die Kinder mit Skiern an den Füßen geboren werden.

Inge Lise Pettersen wollte sich damit nicht abfinden. Sie ist Leiterin des Hvitveis Kindergartens in Hamar. Als es dort vor drei Jahren einfach nicht genug schneien wollte, schritt sie ganz pragmatisch zur Tat. Der Kindergarten nämlich schaffte sich seine eigene Schneekanone an. 12.000 norwegische Kronen, umgerechnet 1200 Euro, kostete das Gerät. Von nun an schlugen die Herzen der Kleinen höher, weil nämlich der Hang direkt vor der Tür garantiert mit der weißen Pracht bedeckt ist.

Anderswo in Europa lassen sich die Probleme längst nicht mehr mit einer Schneekanone so wie in Norwegen aus der Welt schaffen. Denn wenn selbst nachts das Thermometer jenseits der sonst in dieser Jahreszeit üblichen Minusgrade wandelt, ist jeder Schneeerzeuger machtlos. Längst ist nicht mehr nur Oberhof vom Klimawandel betroffen, als zum Weltcup der Biathleten der einsetzende Regen die ohnehin nur spärliche belegte Strecke fast weggespült hätte.

Das Problem ist inzwischen auch in den Alpen angekommen. Als die Vierschanzentournee in Innsbruck gastierte, wurde die traditionsreiche Bergisel-Schanze bei frühlingshaften 17 Grad präpariert. 246 Lkw-Ladungen mit Schnee retteten dort das Springen, nachdem man ein paar Tage zuvor in Oberstdorf die weißen Krümel von den Parkplätzen zusammenkehrte. Hier und dort ragte der Schanzenauslauf wie eine riesige, weiße Zunge in die grüne Landschaft. Während der Tournee fiel keine einzige Flocke vom Himmel.

Alexander Stöckl, österreichischer Trainer in Diensten der norwegischen Mannschaft, ist nicht der Einzige, der sich inzwischen große Sorgen macht. „Man sagt, Skispringen soll in einer Winterlandschaft stattfinden. Aber ich glaube, das können wir uns in 20, 30 Jahren abschminken“, sagte er der Tiroler Tageszeitung. Er glaubt, dass der internationale Ski-Verband über kurz oder lang auf Mattenspringen umstellen wird.

Tatsächlich bedroht der Klimawandel das Skispringen wohl am wenigsten, nachdem der Thüringer Hans Renner im Jahre 1954 die Matten erfand, um auch im Sommer trainieren zu können. Versuche, auch ohne Schnee zu springen, sind sogar schon fast 100 Jahre alt. Damals behalf man mit Stroh und Tannennadeln. Inzwischen wird daran gedacht, weiße Matten zu verwenden, damit wenigstens das Gefühl des Winters nicht verloren geht.

Die nackten Zahlen bestätigen derweil den Trend. In Europa stehen noch harte Winter bevor. Nicht wegen klirrender Kälte, wegen frühlingshafter Wärme. Wie der Weltklimarat im vergangenen September feststellte, wird die Schneesaison alle zehn Jahre um mehr als fünf Tage kürzer. Die Prognosen für die Zukunft sehen nicht besser aus. „Die Dauer der jährlichen Schneedecke in den Alpen auf etwa 2000 Höhenmetern wird sich bis 2050 durchschnittlich um sechs bis neun Wochen verkürzen“, sagte Tobias Hipp vom Deutschen Alpenverein der Süddeutschen Zeitung. Eine Studie der Universität München besagt, dass in 30 Jahren die 2962 Meter hohe Zugspitze das einzige deutsche Skigebiet sein wird.

Das Problem liegt aber viel tiefer. Wenn es tatsächlich auch in Zukunft viel weniger schneit, wie sollen Kinder dann überhaupt erst für den Wintersport begeistert werden? Biathlet Arnd Peiffer ist sich dieser Problematik bewusst. Klar kann er nach Skandinavien oder in bislang noch schneesichere Regionen der Alpen reisen. „Das kann ich als Schüler nicht, der im Harz oder in Oberhof aufwächst“, sagte der Biathlon-Weltmeister.

Es sei denn, man stellt sich eine Schneekanone vor die Tür. Wie der Kindergarten in Norwegen.