Martin Debes zur Präsidentenwahl in den USA.

Die USA haben gewählt. Bloß wen? Viele traditionell umkämpfte Staaten können noch so oder so entschieden werden. Hundertausende Wahlzettel, vor allem jene, die per Post kamen, sind noch nicht gezählt. Dennoch hat sich Donald Trump, wie von ihm angedroht, schon mal zum Sieger ausgerufen. Er will die Stimmen, die jetzt noch abgerechnet werden, vom Obersten Gerichtshof für ungültig erklären lassen. Damit bekräftigt er, was er ist: kein Demokrat, sondern ein Möchtegern-Autokrat – und vielleicht ein schlechter Verlierer.

Trotzdem sagt es einiges über die Vereinigte Staaten aus, dass dieser Mann überhaupt Aussicht auf eine zweite Amtszeit hat. Fast die Hälfte der US-Bürger kann offenkundig gut mit einem verhaltenskorrupten und offensichtlich überforderten Präsidenten leben, so lange irgendwie die Wirtschaft läuft und Amerika zuerst kommt, was immer das auch heißen mag.

Mehr noch: Ohne die Corona-Pandemie hätte Trump wohl klar gewonnen. Erneut haben die Umfragen vor der Wahl die Situation für Trump schlechter gezeichnet als sie tatsächlich war. Dies gilt auch für seine Partei, die Republikaner, die im Senat ihre Mehrheit verteidigen dürften. Allerdings, auch das ist richtig, hatten viele Beobachter die Erfahrungen von 2016 einkalkuliert und neben einer klaren Entscheidung für Joe Biden auch ein Fotofinish für durchaus möglich gehalten – und zwar in etwa so, wie es jetzt eintritt.

Denn im Unterschied vor vier Jahren hat Trump eben noch nicht gewonnen. In vielen Staaten siegte er knapper als 2016. Und in einigen, die er für den Sieg braucht, könnte er trotz eines zwischenzeitlichen Stimmenvorsprungs noch die Mehrheit verlieren.

Es lässt sich nur hoffen, dass dann der Gerichtshof, für dessen klare konservative Mehrheit die Republikaner in letzter Minute vor der Wahl sorgten, seinem Verfassungsauftrag nachkommt und ein demokratischen Ergebnis bestätigt – und es danach friedlich bleibt.

Denn egal, wie diese Wahl ausgeht: Sie hat nicht nur neuerlich belegt, dass das Wahlsystem in der wichtigsten Demokratie der Welt völlig antiquiert ist. Sie hat die Spaltung, die das Land die USA seit Langem politisch lähmt, nochmals vertieft: zwischen Erzkonservativen und Progressiven, aber auch zwischen Stadt und Land oder Weißen und Farbigen. Für ein Land, dass vor einem besonders harten Pandemiewinter steht, ist dies die eigentliche traurige Nachricht.

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Zwischenruf: Der Zerstörer des Mythos