Sibylle Göbel zum Skandal bei der Thüringer Awo.

Ist die Arbeiterwohlfahrt zu einem Selbstbedienungsladen für Karrieristen verkommen? Der interne Prüfbericht des Awo-Bundesverbandes zu den Gehältern, die die Führung der Thüringer Awo-Gesellschaft AJS mutmaßlich bezieht, legt das genauso nahe, wie es zuletzt die Untersuchungsergebnisse zu Abzockaffären bei der Awo in Hessen taten. Hier wie dort hat sich die Chefetage offenbar völlig überzogene Gehälter und Privilegien gesichert - und hier wie dort dafür gesorgt, dass die Aufsichtsgremien dieses Treiben nicht kontrollieren wollten oder auch nicht konnten. Was, nebenbei bemerkt, die Frage aufwirft, ob es sich nicht schon um einen Systemfehler handelt, wenn ehrenamtliche Mitglieder hauptamtlichen Profis in derart großen Unternehmen wie der AJS auf die Finger schauen sollen.

Dass jetzt mit Awo-Landeschef Griese und seinem Vize Kania zwei Vorstände von Bord gehen, die schon nach den ersten öffentlich gewordenen Vorwürfen die Aufklärung aktiv hätten vorantreiben müssen, erinnert unvermeidlich an die Nager, die die Flucht ergreifen, sobald die Situation brenzlig wird. Anstatt sofort alles zu unternehmen, um den guten Ruf der Awo wiederherzustellen, anstatt auch zu eigenen Fehlern zu stehen, ziehen sich beide durch Rücktritt aus der Affäre und überlassen anderen das Klar-Schiff-Machen.

Die Berliner Awo-Spitze allein wird das nicht leisten können. Sie hat zwar zuletzt sehr deutlich gemacht, was sie vom Thüringer Landesvorstand hält, doch gleichzeitig dessen Untätigkeit viel zu lange geduldet. Erst jetzt, da der Ruf der Awo bundesweit lädiert und die Gemeinnützigkeit in Gefahr ist, lässt sie die Muskeln spielen.

Rückgrat beweisen müssen nun endlich auch die Kreisverbände, deren Chefs sich jüngst so vehement zu Wort gemeldet haben. Das sind sie vor allem den vielen fleißigen Awo-Beschäftigten an vorderster Front schuldig. Deren Durchschnittsgehälter sind Lichtjahre von denen ihrer Bosse entfernt: Ein Kita-Erzieher verdient in Vollzeit 3055 Euro brutto im Monat, eine Pflegefachkraft 2940 Euro.

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