Jan Hollitzer zur Regierungserklärung von Bobo Ramelow (Linke)

Nach den Absagen von CDU und FDP, eine Minderheitsregierung von Rot-Rot-Grün zu tolerieren oder zu dulden, bleibt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow nur die Flucht nach vorn – obwohl dem Dreierbündnis vier Stimmen zur Mehrheit fehlen.

In seiner Regierungserklärung bekräftigte er, sich spätestens Ende Februar zur Wiederwahl als Ministerpräsident stellen zu wollen. Zugleich warb er für das politische Experiment Minderheitsregierung „pur“. Also ohne Tolerierung und ohne Duldung. Mehrheiten müssen sich also immer wieder neu gesucht werden.

Das wird anstrengend, kann aber pragmatisch und zielführend sein. Ideologisch getriebene Festschreibungen in einem Koalitionsvertrag gäbe es dann nicht. Sachpolitik würde im Mittelpunkt stehen. Die Bedeutung des Parlaments und der Opposition würden gestärkt.

So jedenfalls die Theorie – und die Hoffnung.

Thüringen ist das erste Land mit einem linken Ministerpräsidenten. Thüringen ist das erste Land mit einer linken Landtagspräsidentin. Das Ergebnis der letzten Landtagswahl könnte nun dazu führen, dass Thüringen erneut Politik-Geschichte schreibt. Thüringen wäre das erste Bundesland mit einer Minderheitsregierung „pur“.

Thüringen ist Avantgarde, bezeichnete jüngst der Politikberater Martin Fuchs die Situation in unserem Freistaat. Hier würden sich Szenarien ergeben, die in Zukunft anderen Bundesländern bevorstehen oder sogar bundespolitisch Relevanz erlangen könnten.

Parteiübergreifende Zusammenarbeit und Gestaltungskompetenz für die Opposition auf Augenhöhe mit der Regierungskoalition folgen wohl zwangsläufig auf das Wahlergebnis. Fakt aber bleibt auch: Rot-Rot-Grün wurde abgewählt.

Der richtige Umgang mit dieser Realität verpflichtet jeden einzelnen Landtagsabgeordneten. Sie haben die Verantwortung und Chance, dass das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie durch einen neuen Politikstil gestärkt wird. Experiment hin oder her.