Erfurt. Wenn die Menschen über Themen sprechen können, die ihnen wichtig sind, werden sie sehr kommunikativ, sagt die Ethnologin Juliane Stückrad. Wie sie das für ihre Forschungen in Ostdeutschland einsetzt, erzählt sie im Podcast „Hollitzer trifft“.

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Wie denken die Ostdeutschen – und warum? Die in Eisenach geborene Ethnologin und Völkerkundlerin Juliane Stückrad (Jg. 1975) betrieb jahrelang Feldforschung in Ostdeutschland und hat mit einer Unmuts-Studie zum Süden Brandenburgs an der Uni Jena promoviert. Intensiver befasste sie sich auch mit der ostthüringischen Kleinstadt Gößnitz. Mit TA-Chefredakteur Jan Hollitzer spricht sie auch über ihr neues Buch „Ethnologie“. Juliane Stückrad über...

...das neue Interesse an der DDR: Das öffentliche Interesse an Arbeiten über die DDR ist wieder größer, geschrieben wird darüber kontinuierlich seit 1990. Interessant ist das von Dirk Oschmann aufgegriffene Phänomen des Othering, also dass jemand zum anderen gemacht wird. Die Methode geht zurück auf Edward Said, der beschrieb, wie der Orient durch den Westen konstruiert wird. Als Ethnologin bin ich darüber nicht so erstaunt.

...Ethnologie, Südamerika und Brandenburg: Die Ethnologie ist die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Es war immer mein großer Traum, Ethnologin in Südamerika zu sein. Das hat vor Ort nicht so gut geklappt. Wir blieben Touristinnen, sind beraubt worden, die Kraft ließ nach, verbunden mit dem Gefühl, eigentlich braucht uns hier keiner. Letztlich richtete sich das Interesse wieder auf Brandenburg, wo ich schon ein Jahr zum Geldverdienen gearbeitet hatte.

...Feldforschung in Ostdeutschland: Feldforschung heißt, dass man sich als Forscher in den Alltag der Menschen begibt, versucht, ihre Eigenlogik zu verstehen und theoriefrei und offen an sie herantritt.

...die Erfindung der Wahrnehmungsspaziergänge: Um mir ein Dorf zu erschließen, bin ich durchgelaufen, habe auf dem Friedhof begonnen, Straßen und Höfe angeschaut und Fragen formuliert. Die Erkundungen sind die Grundlage dafür, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen.

Juliane Stückrad (geb. 1975), Autorin, Ethnologin und Völkerkundlerin
Juliane Stückrad (geb. 1975), Autorin, Ethnologin und Völkerkundlerin © ©Susanne Schleyer / autorenarchiv.de | Susanne Schleyer

...Unmut und Schimpfen: Wenn ich gesagt habe, ich forsche zum Unmut oder zum Schimpfen, haben die Leute meistens gelacht. Geschimpft hat keiner. Dann habe ich gesagt, ich forsche zur Region -- und sie haben auf unterschiedlichste Weise geschimpft. Wenn die Menschen über Themen sprechen können, die ihnen wichtig sind, werden sie sehr kommunikativ. Das war auch in Gößnitz so. Letztlich sagt das Schweigen im Feld genauso viel wie das Reden im Feld.

...das Weggehen der Kinder und Enkel auf dem Land: Familienzusammenhänge spielen in den Dörfern eine andere Rolle als in den Städten. Mit dem Weggehen gehen Entfremdungserfahrungen einher. Man hört oft den Satz über die Weggegangenen, die seien woanders schon richtige Wessis geworden… Da triften Lebenswelten auseinander.

...Gößnitz in Ostthüringen: Ich habe dort einen Habitus der Sparsamkeit und der Bescheidenheit gefunden, der auch in Geizes umschlagen kann. Das ist meines Erachtens älter als die 40 Jahre Prägung durch die DDR. Da spielen bäuerliche und handwerklichen Verhältnisse mit, die über Generationen prägend waren für thüringische Kleinstädte, wo die Ressourcen immer begrenzt waren. Und wenn einer irgendwie mehr hat, dann kann das nicht mit rechten Dingen zugehen.