Jena. Der Jenaer Infektiologe Mathias Pletz erklärt im neuen TA-Podcast, warum die hohe Impfquote entscheidend ist

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Das Impfgeschehen in Thüringen stagniert, viele Menschen wollen erst einmal abwarten. TA-Chefredakteur Jena Hollitzer sprach darüber in seinem neuen Podcast mit dem Infektiologen Mathias Pletz vom Uniklinikum Jena.

Impfskepsis: Ich kann nachvollziehen, dass Menschen den Impfstoffen gegenüber skeptisch sind. Aber mit der vor der Tür stehenden Delta-Variante ist Abwarten eine gefährliche Strategie.

Nebenwirkungen: Noch nie in der Geschichte der Medizin gab es Impfstoffe, die in so kurzer Zeit so vielen Menschen verabreicht wurden. Das hat den Vorteil, dass sehr seltene Nebenwirkungen frühzeitig auffallen. Zum Beispiel die Sinusvenen-Thrombose nach Astrazeneca: Wäre sie mit einer anderen Impfung assoziiert gewesen wäre, wäre sie in den nächsten fünf, sechs Jahren vermutlich nicht aufgefallen. Die BBC hat das Risiko einer solchen Nebenwirkung mal ins Verhältnis zu Lebensrisiken gesetzt: Es ist etwa zehnmal so hoch wie das, im gleichen Jahr vom Blitz getroffen zu werden, aber zehnmal niedriger als das, einen tödlichen Unfall zu erleiden.

Wirksamkeit: Binden sich Antikörper, die nach der Impfung gebildet werden, sehr gut an das Virus, reichen einige wenige, um es unschädlich machen. Passt die Struktur dagegen nicht so gut, muss zumindest die Menge der Antikörper hoch sein. Jetzt ist es so: Die Antikörper waren auf ein Virus der ersten Welle gerichtet und passen daher schlechter. Da aber die Impfung bei den meisten Menschen einen extrem hohen Antikörper-Spiegel hinterlässt, sind immer noch genügend schlechter passende Antikörper da, um das Virus zu neutralisieren. Die Wirksamkeit der Impfung gegenüber der Delta-Variante ist nur bei Einmalimpfungen reduziert.

Herdenimmunität: Diesen Begriff müssen wir schärfen. Denn wir können uns, anders als zum Beispiel bei den Pocken, nicht ab einer bestimmten Impfquote von dem Erreger befreien. Das ist illusorisch. Wenn aber ein großer Anteil der Menschen geimpft ist, dann haben wir zwei überlappende Effekte: Die Zirkulation des Virus wird eingeschränkt, auch wenn zehn Prozent der Geimpften stille Überträger sein können, und die Impfung schützt mit hoher Sicherheit vor schweren Verläufen. Wenn die Fälle, die dann noch auftreten, einem banalen Schnupfen entsprechen – zum Beispiel bei Kleinkindern –, müssen wir auch keine Lockdown-Maßnahmen mehr machen.

Inzidenzwerte: Ich vermute, dass die Inzidenz im Herbst ganz schnell nach oben gehen wird. Der Anstieg wird vor allem bei Kleinkindern stattfinden, bei denen es extrem selten schwere Verläufe gibt. Würden wir uns dann rein an den Inzidenzen festhalten, würden wir einen Lockdown wegen eines banalen Schnupfens bei Kindergartenkindern verhängen. Das halte ich für nicht gerechtfertigt. Deswegen halte ich Krankenhauseinweisungen für die bessere Variante. Die Inzidenz hat allerdings einen Vorteil: Sie steigt drei Wochen früher an. Deshalb brauchen wir kluge Maßzahlen, zum Beispiel die Inzidenz bei jüngeren Erwachsenen und die Hospitalisierungsrate dazu.