Berlin. Die Zahl der Asylanträge aus dem westafrikanischen Land Nigeria ist stark gestiegen. Sicherheitsbehörden beobachten eine Ausbreitung des Menschenhandels.

Vor dem Abflug nach Europa müssen die Frauen zum Priester. Zum „Juju“-Schwur. Ein Vertrag wird besiegelt. Nicht beim Notar. In Westafrika ist das gelegentlich Hexenwerk. Der Voodoo-Mann belegt die Frauen mit einem Zauber, er macht ihnen Angst, droht ihnen, dass sie den Verstand verlieren werden, hext ihnen alle Krankheiten der Welt an den Hals, falls sie ihre Schulden nicht vertragsgemäß zurückzahlen, 50.000 Euro, manchmal auch viel mehr.

So lässt sich eine Schleppergeschichte an, die im nigerianischen Lagos oder Abuja ihren Anfang nimmt und in einem Duisburger Bordell endet. Im Januar fällte das Duisburger Landgericht mehrere Urteile wegen Menschenhandel und Zwangsprostitution. Eine Frau wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Duisburger Fälle sind für das Bundeskriminalamt (BKA) ein Beispiel „für das Agieren nigerianischer Tätergruppierungen“. Polizei und Geheimdienste befürchten, dass mit dem Zustrom von Migranten aus Nigeria auch die organisierte Kriminalität auf dem Vormarsch sein wird, nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern bundesweit.

Der Anteil der Nigerianer an den Asylbewerbern wächst. 2016 belegte der westafrikanische Staat auf der Top-Ten-Liste der Herkunftsländer Platz neun, 2017 Platz sieben, 2018 Platz fünf mit über 11.073 Erstanträgen (2017: 8261). Im Dezember 2018 kamen 554 Nigerianer. Dann verstärkte sich der Trend: Im Januar stellten 1248 Nigerianer Antrag auf Asyl, im Februar 1388, im März noch einmal 1287. Im zweiten Monat in Folge belegte das afrikanische Land damit den zweiten Platz, nach Syrien aber vor Irak oder Afghanistan.

Mehrere kriminelle Gruppen aus Nigeria in Deutschland aktiv

Auch die Zahl der Aufgriffe an der Grenze ist laut Bundespolizei mit 3218 im Jahr 2017 und 3053 im Folgejahr anhaltend hoch. Die illegalen Migranten aus Nigeria wurden überwiegend an der Grenze zu Österreich abgefangen, 2018 verstärkt auch entlang der Grenze zur Schweiz. Die Eidgenossen bringen abgelehnte Asylbewerber seit März teils direkt an der Grenze nahe Konstanz unter. Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster ist denn auch dafür, „dass die Bundespolizei an allen Grenzen die Schlagzahl flexibler, lageangepasster Kontrollen weiter erhöht“.

Die deutschen Ermittler wissen, dass der Menschenhandel – insbesondere mit Frauen – fest in der Hand der organisierten Kriminalität (OK) aus Nigeria ist, die sich in Europa ausbreitet, nach Italien mehr und mehr auch feste Strukturen in Deutschland bildet. 2017 ermittelte das BKA gegen 16 nigerianisch dominierte OK-Gruppen, schon damals mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Wie die Behörde unserer Redaktion mitteilte, sind insbesondere drei Gruppen in Deutschland aktiv: die „Black Axe“ und zwei Brüderschaften, die „Supreme Eiye Confraternity“ sowie „Selected Brothers Of Germany“.

Nur gegen Gruppen aus Bulgarien wurde häufiger ermittelt

Auch der Auslandsgeheimdienst BND warnte nach einem „Spiegel“-Bericht vor einem Aufwuchs der „äußerst brutal agierenden nigerianischen Strukturen der organisierten Kriminalität“. CDU-Mann Armin Schuster nimmt die Entwicklung „sehr ernst“. Er sagte unserer Redaktion, „die Sekundärmigration innerhalb Europas ist weiterhin ein Kernproblem. Wir wissen, dass viele Nigerianer aus Italien illegal nach Deutschland kommen. Damit einher geht auch der Import krimineller mafiöser Strukturen, die sich dort gebildet haben.“ Hinzu käme, dass „fast alle nigerianischen Asylbewerber keine Papiere vorlegten, was bei negativem Bescheid „ihre Abschiebung erheblich erschwert“.

Fakt ist, dass schon 2017 die Zahl der nigerianischen Opfer von Menschenhandel von 25 auf 39 stieg, die der Tatverdächtigen von elf auf 29. In vier Verfahren wegen sexueller Ausbeutung ging das BKA 2017 gegen nigerianische OK-Gruppen vor. Nur gegen Gruppen aus Bulgarien wurde noch häufiger ermittelt.

Die Hintergründe der Netzwerke bleiben oft im Dunkeln. Seit Jahren steht die Terrorgruppe „Boko Haram“, die für die Errichtung eines islamischen Gottesstaates im mehrheitlich muslimischen Nordosten des Landes kämpft, auch unter Verdacht, in Menschenhandel und Sexsklaverei involviert zu sein. Die Frauen werden mit falschen Versprechen angeworben und, so die Ermittler aus NRW, entweder auf dem Landweg via Niger und Libyen und per Boot nach Italien oder direkt per Flugzeug über die Türkei nach Deutschland gebracht. Oft nutzen sie Papiere von Landsleuten, die sich in Europa aufhalten.

80 Prozent der Frauen werden Opfer sexueller Ausbeutung

Anhand der Zeugenaussagen haben die Duisburger Richter den Weg der Frauen und das Geschäftsmodell der Schleuser dokumentiert. Die Opfer beantragen zunächst mit falschen Daten einen Pass und ein Visum bei einer europäischen Botschaft in der nigerianischen Hauptstadt Abuja. Das dauert im Schnitt drei Monate. Für ein griechisches Visum gehen 75 Euro über den Botschaftstisch.

Die Schleuser buchen die Flüge, zumeist nach Istanbul und weiter nach Athen, bezahlen die Hotelzimmer im Voraus. Die Frauen erhalten 1000 Euro und eine Prepaid-SIM-Karte. Per Handy werden sie dann durch Europa gelotst. Spätestens mit der Ankunft erfahren sie – oft von den „Mesdames“, den örtlichen Statthalterinnen der Menschenhändler – die bittere Wahrheit: Wie sie ihr Geld beschaffen und ihre Schulden zurückzahlen sollen. Die UN-Organisation für Migration schätzt, dass 80 Prozent der jungen Frauen aus Nigeria, die ihr Glück in Europa suchen, „potenzielle Opfer von sexueller Ausbeutung“ sind.

Dass die Richter so viele Informationen zusammentragen konnten, ist erstaunlich. Wenn der „Juju“-Zauber eine Macht entfacht, ist es die Macht, jemanden zum Schweigen zu bringen. Bei ihrer Vernehmung, berichteten die Ermittler, hätten die Frauen wie gelähmt gewirkt. „Bei solchem Verhalten“, so ein Beamter, „wusste ich: Jetzt wirkt ‚Juju‘“.

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