Erfurt. Berlin, Brüssel, Erfurt: Anna Cavazinni fühlt sich als Europäerin. In Straßburg möchte sie die mitteldeutsche Perspektive einbringen.

Europa ist doch recht groß, zu groß jedenfalls für eine kleine Partei eines kleinen Bundeslands. Also sitzt Anna Cavazinni, aufgewachsen in Hessen, studiert in Sachsen und wohnhaft in Berlin-Kreuzberg, im Innenhof eines Erfurter Cafés und wartet auf ihren Wahlkampfauftritt als Thüringer EU-Kandidatin der Grünen.

Auch Ex-Bundeschef Cem Özdemir wird gleich da sein. Cavazinni, eine junge, schmale Frau, lächelt viel, während sie redet. Aber sie gibt sich umso selbstbewusster. Sie wolle, sagt sie, nicht wie manche andere Abgeordnete der CDU nur regionale Klientelpolitik in Brüssel betreiben und mehr Fördermittel besorgen. „Ich will Brüssel nach Thüringen holen.“

Doch was heißt das? Sie stehe, antwortet sie, nicht für Lokalinteressen, sondern für Themen, von der Klima- bis zur Sozialpolitik, aber hier natürlich aus ostdeutscher, mitteldeutscher Perspektive. Denn für Sachsen und Sachsen-Anhalt wird Cavazinni auch noch zuständig sein, bei den 16 oder 17 Abgeordneten, die ihre Partei gemäß den Umfragen ins Europäische Parlament entsenden kann.

Anna Cavazinni, die bei den Grünen im linken Flügel verortet wird, ist wohl das, was man als eine überzeugte Europäerin bezeichnet. Nach einem Auslandsjahr in Mexiko, in dem sie, wie sie erzählt, Armut, Gewalt und Rechtlosigkeit kennenlernte, studierte sie ab 2003 in Chemnitz, Prag und Berlin das damals neu geschaffene Fach European Studies.

„Mittagspause mit Cem und Anna“

Diese Jahre, sagt sie, hätten sie geprägt. In Chemnitz, wo sie den Grünen beitrat, waren die Rechtsextremen allgegenwärtig, und die Auseinandersetzungen mit ihnen. In Prag hatte sich die EU nach Osten erweitert und die Euphorie war groß. In Berlin, wo sie ihre Masterarbeit schrieb, erlebte sie den Beginn der Euro-Krise. Im Jahr 2009, mit 27, ging Cacazinni nach Brüssel, arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin der fast gleichaltrigen Grünen-Abgeordneten Ska Keller. Ab 2014 folgten Anstellungen als entwicklungspolitische Referentin im Auswärtigen Amt, bei den Vereinten Nationen in New York und bei „Brot für die Welt“. Inzwischen spricht sie Englisch, Französisch und Spanisch.

Falls die Umfragen nur einigermaßen die Wirklichkeit abbilden, wird die auf Listenplatz 7 stehende Kandidatin ab dem Sommer gemeinsam mit Ska Keller, die wieder als Spitzenkandidatin fungiert, der grünen Fraktion im Europaparlament angehören. Dort, sagt sie, wolle sie sich für einen europaweiten Mindestlohn einsetzen oder das Verbot des Herbizids Glyphosat.

Dann ist auch Özdemir da, nach einer Umarmung mit Cavazinni geht es hinein ins Café, wo der große Saal voll besetzt ist, obwohl es 12 Uhr an einem Montag ist. Das Experiment, das sich „Mittagspause mit Cem und Anna“ nennt, scheint zu funktionieren. Um die 150 Menschen sind gekommen, viele Ältere, aber auch einige Junge. Zusätzliche Stühle werden hineingetragen, trotzdem müssen mehrere Interessierte stehen.

Grünen erleben Aufschwung auch in Thüringen

Für die Grünen in Özdemirs schwäbischer Heimat wäre ein derartiger Andrang keine besondere Situation. In Thüringen jedoch ist die Partei so viel Zuneigung kaum gewöhnt. Bei den Europawahlen vor fünf Jahren kam sie im Land auf gerade einmal fünf Prozent. Nun, am Sonntag, will sie dieses Ergebnis mindesten verdoppeln.

Der Ex-Parteivorsitzende, der einst als das größte Talent der Grünen galt, wurde Anfang 2018 durch Robert Habeck ersetzt und leitet inzwischen nur noch den Verkehrsausschuss im Bundestag. Aber er kommt immer noch gut an und weiß zu allem, was er gefragt wird, etwas kundig Klingendes beizutragen, ob nun zum Klimawandel, Erdogan, dem Iran – oder den Rechtspopulisten in Österreich oder anderswo. Mit dieser „Brut“, ruft er, dürfe niemand zusammenarbeiten.

Als es um Europa geht, darf auch Anna Cavazinni auf die Bühne. Sie spricht davon, wie falsch es doch sei, dass viele gerne das Gute von der EU nähmen und ansonsten nur das Schlechteste über sie redeten.

Sie bekommt freundlichen Applaus vom mehrheitlich freundlich gesinnten Publikum. Als ein älterer Mann streng bemängelt, dass die Parteien nur ihr ausgemustertes Personal nach Europa schickten, muss sie gar nicht viel sagen. Die Antwort gibt das Lachen im Saal.