Berlin. Für Annegret Kramp-Karrenbauer sind die Grünen eine Enttäuschung. Deren Wunschregierung mit SPD und Linken in Bremen irritiert die CDU und ihre Vorsitzende. Ihre Partei sah sich als Wahlsiegerin an der Weser, und nun das: ein Linksbündnis: zweimal Rot plus Grün, R2G. Ein Wink?

„Wer in Bremen mit der Linken koaliert, wird das im Zweifel auch im Bund tun“, warnte die CDU-Chefin in der „Bild am Sonntag“. Wer von einer neuen Regierung träume und Grün wähle, könne mit der Linkspartei aufwachen. Geben sich die Grünen bürgerlicher, als sie sind? Im Zweifel links?

Die Verhandlungen beginnen am Mittwoch. Die Bildung der Regierung drängt allenfalls politisch, nicht rechtlich. Eine Frist sieht die Landesverfassung nicht vor. Der Senat bleibt so lange im Amt, bis eine neue Regierung geklärt ist.

Für Westdeutschland ist R2G ein Novum. In Berlin und Thüringen dagegen koalieren SPD, Grüne und Linke schon länger. „Das sind Landesentscheidungen“, beteuerte die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, gegenüber unserer Redaktion. „Wir regieren in den Ländern in vielen verschiedenen Konstellationen.“ Kein Signal für den Bund? Für die SPD ist es gleichwohl eine günstige Sternenkonstellation. Rot-Rot-Grün wäre für Vizechef Ralf Stegner eine „strategische Alternative diesseits der Union“ - und mithin eine Chance der Sozialdemokraten, „um stärker zur Geltung zu kommen“, ergänzt die kommissarische Parteivorsitzende Malu Dreyer.

Mit Dreyer und Stegner lassen sich zwei Führungsmitglieder der SPD auf die Spekulationen ein. Ein Linksbündnis wäre ein Hoffnungsschimmer. Nicht nur auf Bundesebene. In Brandenburg kämpft schon im Spätsommer mit Dietmar Woidke ein sozialdemokratischer Ministerpräsident um seine Wiederwahl, 2020 kommt Hamburg, ein Jahr später sind Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und in Rheinland-Pfalz. Es sind Länder, in denen die SPD noch die Regierung anführt.

Habeck weist hohe Popularitätswerte auf

Kramp-Karrenbauer hat guten Grund, Bremen für ein irritierendes Si­gnal zu halten. Hinzu kommt, dass die Grünen in einer aktuellen Umfrage gerade an der Union vorbeigezogen sind. Im jüngsten ARD- „Deutschlandtrend“ lagen sie erstmals als stärkste Partei vor den Christdemokraten. Grünen-Chef Robert Habeck weist zudem hohe Popularitätswerte auf, tut aber wie seine Co-Vorsitzende Annalena Baerbock die Frage einer Kanzlerkandidatur als „überflüssig“ ab. Habeck redet die Diskussion klein: „Im Bund stehen gar keine Wahlen an.“ Wenn es nach der Mehrheit der Bürger geht, wird sich daran nichts ändern. Im RTL-„Trendbarometer“ sprechen sich 59 Prozent der 1003 Befragten dafür aus, dass Union und SPD bis zum Ende der Legislaturperiode bis 2021 regieren.

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sieht allerdings eine Revisionsklausel zur Überprüfung der Regierungsarbeit nach der Hälfte der Legislaturperiode vor. Falls die Sozialdemokraten die große Koalition mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vorzeitig beenden wollten, hätten sie einen Vorwand oder Anlass dazu; auch um Neuwahlen herbeizuführen. Mit Grünen und Linken könnten sie einen Lagerwahlkampf anstreben, freilich unter gewöhnungsbedürftigen Kräfteverhältnissen: als Juniorpartner der Grünen. Nachdem die jahrzehntelang nur Mehrheitsbeschaffer waren, haben sich die Verhältnisse gedreht.

Wem sich die Grünen zuwenden, hängt auch davon ab, wer nächster Kanzlerkandidat der Union wird. Die Entscheidung darüber ist für Ende 2020 geplant und laut Vizechef Armin Laschet auch tatsächlich offen. „Ende 2020 ist nicht heute und nicht jetzt“, sagte er der „Welt am Sonntag“. Daran und am bisherigen „Mitte-Kurs der Kanzlerin Angela Merkel“ hält er fest. Als Vorsitzender des größten Landesverbandes will Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident über Kurs und Aufstellung der Union mitreden. Der Mann, der heute in Düsseldorf mit den Liberalen regiert, galt jahrelang als Befürworter von Schwarz-Grün.

Bei der FDP ist das Befremden angesichts der neuen Gedankenspiele um ein Linksbündnis groß. „Bürgerlich an den Grünen ist nur die Maskerade. Bremen zeigt, was geschehen kann“, erläuterte FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg. Die Bürger „sollten sich gut überlegen, ob sie den Grünen ihre wachsweichen Versprechungen eines bürgerlichen Mitte-Kurses abnehmen“, so die Freidemokratin. „Denn am Ende bekommen sie keinen Kurs der Mitte und der Zukunft, sondern ein Linksbündnis im grünen Kleid“, sagte sie.

FDP grenzt sich von den Grünen ab

Schon nach der Bundestagswahl 2017 schwebte der Union ein Bündnis mit den Grünen vor. Weil es für sie allein nicht ausreichte, sollte noch die FDP dazu kommen. An den Liberalen ist das Bündnis dann gescheitert. Die FDP grenzt sich bis heute von den Grünen ab.

Umgekehrt begründeten die Grünen ihr Bremer Votum gegen ein Jamaika-Bündnis mit CDU und FDP und für R2G mit den Liberalen an der Weser. Während Grüne und FDP ihre gegenseitige Abneigung pflegen, fällt es der Union schwerer, von der Öko-Partei wieder ein Feindbild zu zeichnen. Sie wähnte sich mit ihnen nicht nur 2017 auf Bundesebene einig, sie regiert mit ihnen längst auch in Hessen und in Baden-Württemberg.

Weder Baerbock noch Habeck lassen sich in die Karten schauen. Was sie mit ihrer Stärke anfangen, ist unklar. Ein Hinweis könnte sei, wie Göring-Eckardt sich über Kramp-Karrenbauer äußert, nämlich distanziert. Sie vermisse das klare Signal, dass sie das Land zusammenhalten wolle. Auch handele die Union mit Ideen und Argumenten „aus dem letzten Jahrzehnt und manchmal sogar aus dem letzten Jahrhundert“.

Bekennender R2G-Fan ist Jürgen Trittin, der nicht mehr zur engeren Führung gehört, aber bei den Grünen noch immer den linken Parteiflügel vertritt. „Die Menschen wünschen sich bei vielen Problemen Lösungen, die deutlich links sind“, sagte er dem „Spiegel“. Und mit Blick auf die Klima- und Energiepolitik kritisierte er, Kramp-Karrenbauer habe „die Hürden zwischen Union und Grünen eher höhergezogen“.

Kommt es in Bremen zu einem Linksbündnis, würde die Linke in jedem vierten Bundesland Regierungsverantwortung tragen. Für ihren Fraktionschef im Bundestag, Dietmar Bartsch, ist es ein Auftrag, „bundespolitisch Weichen für Mitte-Links zu stellen“.

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