Kiew/Berlin. Die Krim-Brücke ist zu einem wichtigen Angriffsziel der Ukrainer geworden. Was Präsident Selenskyj mit den Attacken bezweckt.

Wieder wurde die Krim-Brücke angegriffen – offenbar durch den ukrainischen Geheimdienst und die Marine. Warum ist die Halbinsel im Ukraine-Krieg so wichtig? Welchen Plan verfolgt Kiew? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was ist beim Angriff auf die Krim-Brücke passiert?

Bei einer Explosion auf der Krim-Brücke am Montag wurden zwei Menschen in ihrem Auto getötet und eine Jugendliche verletzt. Das 19 Kilometer lange Bauwerk verbindet die südrussische Region Krasnodar mit der 2014 durch Moskau annektierten Halbinsel. Fotos und Videos in sozialen Netzwerken zeigten deutliche Zerstörungen an der Fahrbahn. Der Autoverkehr wurde eingestellt. Der Betrieb auf der benachbarten Eisenbahnstrecke wurde hingegen wieder aufgenommen.

Mit Blick auf den Auslöser der Explosion hält sich die ukrainische Regierung bedeckt. Ukrainische Medien berichten jedoch von einer „Spezialoperation“ des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU und der Marine. Dabei seien Marinedrohnen eingesetzt worden. Als Quellen nennen sie Geheimdienstkreise in Kiew. Kremlsprecher Dmitri Peskow sprach von einem „Terroranschlag des Kiewer Regimes“.

Ein Hubschrauber wirft Wasser ab, um das Feuer auf der Krim-Brücke zu stoppen.
Ein Hubschrauber wirft Wasser ab, um das Feuer auf der Krim-Brücke zu stoppen. © dpa | Uncredited

Welche Attacken gab es bereits zuvor?

Im Oktober 2022 explodierte ein LKW mit Sprengstoff auf der Krim-Brücke. Drei Menschen wurden getötet. Kiew bestritt zunächst, darin verwickelt zu sein. Der ukrainische Geheimdienst räumte jedoch später eine Beteiligung ein. Es dauerte Wochen, bis Fahrbahn und Eisenbahnlinie über die Krim-Brücke repariert werden.

Die Art und Weise, wie die Brücke getroffen wurde, dürfte der russischen Führung zusätzliche Sorgen bereiten. Denn die Sprengung im Oktober war wohl eine komplizierte einmalige Operation. Die Angriffe mit Marinedrohnen können dagegen systematisch durchgeführt werden. Erst in der Nacht zum Sonntag wurde die russische Schwarzmeer-Flotte in Sewastopol mit Marinedrohnen attackiert, offenbar ohne Erfolg. Dass die Ukrainer es nun geschafft haben, mit der Krim-Brücke eines der meistgeschützten russischen Objekte zu treffen, ist für Moskau ein beunruhigendes Zeichen.

Auf den Autobahnen zur Krim-Brücke herrscht nach der Explosion dort am Montag gähnende Leere.
Auf den Autobahnen zur Krim-Brücke herrscht nach der Explosion dort am Montag gähnende Leere. © dpa | dpa

Warum ist die Krim für Russlands Präsident Putin so wichtig?

Auch nach dem Zerfall der Sowjetunion durfte Russland die ukrainische Hafenstadt Sewastopol als Sitz der russischen Schwarzmeer-Flotte behalten. Die 2018 von Wladimir Putin persönlich eröffnete Brücke über die Straße von Kertsch ist für Russland ein wichtiger Versorgungsweg, um die in der Ukraine kämpfenden Soldaten mit militärischer Ausrüstung zu versorgen. Als der Kremlchef 2014 die Annexion der Krim anordnete, löste er in Russland eine gewaltige Patriotismuswelle aus. Die Zustimmungsraten für den Präsidenten schwappten auf weit über 80 Prozent.

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Der Westen verhängte daraufhin zwar Sanktionen. Doch weitere Strafmaßnahmen blieben aus. Im Gegenteil: Die Bundesregierung hielt bis kurz vor Kriegsbeginn an dem Erdgas-Pipeline-Projekt Nordstream 2 fest, an dem Firmen aus unterschiedlichen Ländern beteiligt waren.

Bereits vor der Krim-Annexion 2014 hatte Russland die vertragliche Zusicherung, bis zu 25.000 Soldaten auf der Halbinsel zu stationieren. De facto ging die russische Militärpräsenz kaum über 10.000 bis 12.000 Soldaten hinaus. In den Jahren nach 2014 rüstete Russland die Halbinsel stark auf. Vor Beginn des Einmarsches im Februar 2022 befanden sich dort bereits mehr als 30.000 Soldaten.

Für Putin ist die Krim aber auch aus historischen Gründen heilige russische Erde. Er bezieht sich dabei unter anderem auf Zarin Katharina die Große, die die Halbinsel 1783 „von nun an und für alle Zeiten“ als russisch erklärt hatte. Russen, Belarussen und Ukrainer seien „ein Volk“, behauptete er in einem im Juli 2021 erschienenen Essay. Kritiker sahen darin bereits die ideologische Unterfütterung für die Ukraine-Invasion am 24. Februar 2022.

Ein russischer Militärhubschrauber überfliegt die beschädigten Teile einer Automobilverbindung der Krim-Brücke.
Ein russischer Militärhubschrauber überfliegt die beschädigten Teile einer Automobilverbindung der Krim-Brücke. © -/AP/dpa

Welchen Plan verfolgt der ukrainische Staatsschef Selenskyj mit der Krim?

Die Krim spielt für Wolodymyr Selenskyj eine Schlüsselrolle. Über die Krim-Brücke läuft ein Großteil des Nachschubs für die russischen Truppen, die auf der Halbinsel sowie in der Südukraine stationiert sind.

Alternativ können Putins Verbände auch über die russische Landbrücke im Süden der Ukraine versorgt werden. Sie führt über besetzte Städte wie Berdjansk oder Melitopol. Die Orte liegen jedoch in Reichweite der britischen Marschflugkörper „Storm Shadow“ und sind ständig ukrainischen Angriffen ausgesetzt. Das Gleiche gilt für die Nachschublinien von der Krim in den Bezirk Cherson. So wurden am 22. Juni zwei Brücken auf der Tschonhar-Halbinsel vor der Krim beschossen.

Selenskyj strebt mit hoher Wahrscheinlichkeit keine militärische Landoperation auf der Krim an, die zudem mit großen Verlusten verbunden wäre. Er geht ihm vielmehr darum, die logistischen Schwächen der Halbinsel voll auszunutzen. Sollten die ukrainischen Streitkräfte im Laufe ihrer Attacken bis zur Krim vorrücken und die Krim-Brücke nachhaltig zerstören, säßen die Russen in der Falle. Die Halbinsel wäre blockiert. Darüber hinaus könnten die Ukrainer die Fähren zwischen dem russischen Festland und der Krim beschießen.

Beim Kiew-Besuch von CIA-Direktor William Burns im Juni sprach die ukrainische Regierung offenbar über ihre Marschroute. Dabei ging es laut „Washington Post“ auch darum, die Russen durch die Verlegung von Artillerie- und Raketensystemen an die Grenze zur Krim zu ernsthaften Gesprächen zu zwingen. „Russland würde nur dann verhandeln, wenn es die Gefahr für die Krim spürt“, soll ein hochrangiger ukrainischer Beamte gegenüber der US-Zeitung gesagt haben.

Der Bericht wurde jedoch von Selenskyj-Berater Mychajlo Podoljak dementiert. Selenskyj erklärte gegenüber dem US-Sender ABC News klipp und klar: Die Ukraine möchte sowohl die Krim als auch weitere besetzte ukrainische Gebiete zurückhaben. Es müsse zumindest sichergestellt werden, dass die Ukraine nie wieder für einen russischen Angriff benutzt werde.

Warum fahren Russen trotz des Krieges zum Urlaub auf die Krim?

Die Krim ist für Russen ein traditionelles Ferienziel. Dass es in den vergangenen Wochen immer wieder zu großen Staus an der Krim-Brücke kam, hat allerdings weniger mit einem Touristen-Ansturm zu tun. Vielmehr gab es nach der Explosion im Oktober 2022 verstärkte Sicherheitskontrollen.

In Wirklichkeit ist die Anzahl der Urlauber 2023 deutlich zurückgegangen. Normalerweise beginnt ab Juli auf der Halbinsel die Hochsaison. Die Hotels sind dann zu rund 95 Prozent ausgebucht. Laut dem russischen Reiseveranstalterverband liegen die Buchungen aktuell nur bei 50 bis 55 Prozent. Die Preise befinden sich auf einem Fünf-Jahres-Tief. Dass Ferien auf der Krim deutlich billiger wurden, ist wohl aber einer der Gründe, warum Russen trotz des Krieges dorthin fahren. Dass viele Strände inzwischen vermint und gesperrt sind, erfahren sie in der Regel erst vor Ort.

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