China/Peking. Chinas Außenminister Qin Gang wurde von seinem Amt enthoben. Die Gründe für sein mysteriöses Verschwinden wird man wohl nie erfahren.

Einem Monat nach seinem mysteriösen Verschwinden klärt sich das Schicksal von Chinas Außenminister Qin Gang (57) zumindest ein bisschen auf: Am Dienstag stimmte der Ständige Ausschuss des Volkskongresses dafür ab, den 57-Jährigen von seinem Amt zu entfernen. Ihm folgt nun sein Vorgänger Wang Yi. Es ist zweifelsohne der wohl größte politische Skandal innerhalb des chinesischen Parteiapparats seit Jahren – und weiterhin bleibt die Gretchen-Frage unbeantwortet.

Qin Gang als Außenminister von China abgesetzt: Vom Shooting-Star zum "Wolfskrieger"

Warum Qin konkret geschasst wurde, ist nach wie vor unklar. Und auch wenn die kommunistische Partei schon bald eine offizielle Erklärung nachreichen wird, gilt angesichts der dystopischen Intransparenz als überaus wahrscheinlich, dass die die Weltöffentlichkeit wohl nie erfahren wird, was sich genau hinter den Kulissen zugetragen hat.

Ein Blick zurück: Der in der nördlichen Provinz Hebei geborene Qin Gang galt als regelrechter Shooting-Star innerhalb der kommunistischen Partei. Zeit seiner beruflichen Karriere diente er fast durchgängig im Außenministerium, wo er bei den Pekinger Korrespondenten spätestens in den frühen 10er Jahren in seiner Rolle als Sprecher auffiel: Bei den täglichen Pressekonferenzen des Ministeriums erarbeitete sich Qin Gang mit seinen konfrontativen und nationalistischen Antworten einen berüchtigten Ruf als chinesischer "Wolfskrieger".

NameQin Gang (57)
Geboren19. März 1966 in Tianjin (China)
AmtAußenminister der Volksrepublik China (seit 2022)
Vorheriges Amt Botschafter der Volksrepublik China in den Vereinigten Staaten (2021–2023)
ParteiKommunistische Partei Chinas

Schon seit Wochen verschwunden: Qin Gangs politische Karriere wohl abrupt beendet

Doch der Diplomat konnte auch anders, wenn er denn wollte. In seiner Rolle als Botschafter in Washington, wohin er 2021 versetzt wurde, beherrschte er durchaus Charme und Weltgewandtheit. Unvergessen bleibt sein Besuch beim NBA-Spiel der Washington Wizzards, als Qin Gang während der Pause locker ein paar Körbe auf dem Platz warf – selten hat man einen chinesischen Botschafter derart human wahrgenommen.

Als Qin Gang Anfang des Jahres schließlich zum Außenminister ernannt wurde, war dies der letzte Beweis, dass der Spitzendiplomat einen exzellenten Draht zu Staatschef Xi Jinping unterhielt. Die meisten Beobachter hätten damals darauf gewettet, dass Qin die Spitze seiner politischen Karriere noch längst nicht erreicht hat.

Machtdemonstration von Chinas Präsident Xi Jinping – selbst hohe Beamte nicht sicher

Nun ist es jedoch definitiv anders gekommen. Die Causa Qin Gang mag möglicherweise darauf hindeuten, dass es innerhalb des Führungszirkels unter Xi interne Streitigkeiten gibt. Doch letztlich war die Art, wie man den Fall handhabte, eine nonchalante Machtdemonstration vom Staatschef: Scheinbar unbeeindruckt von der Weltöffentlichkeit, die den leninistischen Sicherheitsapparat der Chinesen offen vor Augen geführt bekam, kümmerte man sich nicht um gesichtswahrende Erklärungen – sondern ließ Qin Gang einfach spurlos verschwinden.

Für die Außenpolitik des Landes wurde dessen Abwesenheit zunehmend zum Problem, das über das reine Image des Landes hinausging. Viele Regierungen zeigten sich hinter vorgehaltener Hand stark irritiert, mit was für einen Staat sie es zu tun haben.

Und was bislang in der medialen Öffentlichkeit untergegangen ist: Die Reisen und offiziellen Termine Qin Gangs wurden bereits seit Wochen von Wang Yi übernommen – ein Politiker, der zwar einen hochrangigen Parteiposten innehat, aber zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Regierungsfunktion mehr bekleidete.

Ist eine außereheliche Affäre der Grund für Qin Gangs (Archivbild) verschwinden? Der 57-Jährige wurde erst 2022 zum neuen Außenminister ernannt.
Ist eine außereheliche Affäre der Grund für Qin Gangs (Archivbild) verschwinden? Der 57-Jährige wurde erst 2022 zum neuen Außenminister ernannt. © Mark Schiefelbein/AP

Gerüchte um das Verschwinden von Qin Gang: Spekulation über Affäre mit Journalistin

Mehr als deutlicher kann man nicht demonstrieren, dass China eben nicht wie ein "normaler" Staat funktioniert, sondern einzig die kommunistische Partei das Sagen hat. Das faszinierende an der Causa war, dass im hochzensierten Internet Chinas einige Gerüchte über Qins Verbleiben nach wie vor auf den Sozialen Medien zu lesen waren. Die prominenteste Theorie lautete, dass Qin Gang eine Affäre mit einer Hongkonger Fernsehjournalistin geführt habe, ja möglicherweise sogar ein uneheliches Kind gezeugt habe.

Auch von dekadenten Geschenken an die junge Frau war die Rede. Bestätigt ist bislang nichts davon. Doch auch innerhalb der chinesischen Bevölkerung stieß die Geheimniskrämerei des Staates zunehmend auf Kritik. "Jeder ist über etwas besorgt, kann es aber nicht öffentlich sagen", schrieb selbst Hu Xijin, ein absolut parteitreuer Kommentator, auf der Online-Plattform Weibo. Bis Redaktionsschluss war zwar nicht bekannt, welches Fehlvergehen tatsächlich zu Qin Gangs Amtsenthebung geführt hat.

Wang Yi wird neuer Außenminister – kaum Chancen auf diplomatische Veränderungen

Doch ganz gleich welche offizielle Erklärung nachgereicht wird: Es scheint fraglich, dass die Öffentlichkeit jemals mit Sicherheit sagen kann, was sich genau hinter den Kulissen zugetragen hat. Ähnlich war es auch beim Verschwinden anderer hochrangiger Personen – vom Unternehmer Jack Ma bis hin zur Tennisspielerin Peng Shuai. Fakt ist jedoch: Dass sich mit dem neuen – und alten – Außenminister Wang Yi nun die diplomatische Linie des Landes ändern wird, gilt als unwahrscheinlich.

Wenn überhaupt, dürfte der vor Selbstbewusstsein berstende Nationalismus der Volksrepublik China nur weiter zunehmen. Wang schließlich gilt als noch lauterer Polterer verglichen mit Qin Gang.

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