Brüssel. Offiziell herrscht zwischen Kiew und Moskau diplomatische Stille. Doch es gibt Versuche zu vermitteln. Haben sie Chancen auf Erfolg?

Wenn es um das Ende des Ukraine-Kriegs geht, haben viele Deutsche klare Vorstellungen: Eine Mehrheit der Bundesbürger spricht sich in Umfragen für zügige Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland über eine Friedenslösung aus. Die Aussichten dafür sind zwar nicht gut – doch mit ihrem Wunsch stehen die Deutschen nicht allein. Seit Monaten versuchen weltweit Politiker und Diplomaten, eine Verständigung zwischen Kiew und Moskau zu vermitteln. Ein weiterer Anlauf läuft aktuell.

Denn einige Staats- und Regierungschefs Afrikas wollen am Rande des Afrika-Russland-Gipfels in St. Petersburg einen neuen Vorstoß beim russischen Präsidenten Wladimir Putin unternehmen, um zu erkunden, wie man Verhandlungen näherkommen könne. Schon im Juni sprach eine Delegation von sieben afrikanischen Staatsführern um Südafrikas Staatschef Cyril Ramaphosa erst beim ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dann bei Putin vor, um für „vertrauensbildende Maßnahmen“ zu werben. Die Friedensmission bekam von beiden Seiten eine höfliche, aber klare Abfuhr.

Doch die Ungeduld wächst. Afrika leidet besonders unter den Folgen des Krieges. Auch andere Vermittler lassen sich nicht abwimmeln: Kürzlich war der Sondergesandte des Vatikans, Kardinal Matteo Zuppi, auf Friedensmission in Kiew und Moskau. Der Ukraine-Sondergesandte Chinas, Li Hui, reiste vor einigen Wochen nach Kiew, Moskau und Brüssel, um die Chancen für den im Westen skeptisch beäugten chinesischen Friedensplan auszuloten. Die Positionen lägen weit auseinander, räumte Li ein, doch sei die Tür zu Friedensgesprächen „nicht vollständig geschlossen“.

Ukraine-Krieg: Auch Präsident Erdogan plant Vermittlungsversuch

Anfang August wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan versuchen, Putin bei dessen Besuch in Ankara auf den Verhandlungsweg zu locken. Ehrgeiz als Vermittler legt auch Brasiliens Präsident Lula da Silva an den Tag. An Versuchen mangelt es also nicht. An Erfolgen schon. Kiew und Moskau haben nur einmal, kurz nach Kriegsbeginn, über einen Waffenstillstand verhandelt. Jetzt fehlt dafür jede Basis: Als Vorbedingung fordert Putin die Anerkennung aller russischen Eroberungen, Selenskyj den Rückzug Russlands aus allen besetzten Gebieten.

Als die Ukraine und Russland noch über einen Waffenstillstand verhandelten: Ende März 2022 begrüßte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (l) die russische (r) und die ukrainische Delegation vor ihren Gesprächen in Istanbul.
Als die Ukraine und Russland noch über einen Waffenstillstand verhandelten: Ende März 2022 begrüßte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (l) die russische (r) und die ukrainische Delegation vor ihren Gesprächen in Istanbul. © dpa | Uncredited

Noch halten es Militärexperten für möglich, dass ein Patt nach der ukrainischen Gegenoffensive die Verhandlungsbereitschaft beider Seiten erhöhen könnte. CIA-Direktor William Burns soll von ukrainischen Offiziellen das Signal erhalten haben, dass Kiew Moskau bis Ende des Jahres zu Gesprächen drängen könne. Doch im Westen schwinden die Hoffnungen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron meinte resigniert, die Gegenoffensive „wird bei den Russen keine De-facto-Akzeptanz für Verhandlungen schaffen“ – nachdem er noch im April in Peking für Friedensgespräche „so bald wie möglich“ plädiert hatte.

McAllister: “Keine Vertrauensbasis, auf der aufgebaut werden könnte“

Vielmehr geht jetzt die Furcht um, Putin werde eine Falle stellen – und einen Waffenstillstand nur zur Vorbereitung des nächsten Angriffs nutzen. Der Chef-Außenpolitiker des EU-Parlaments, David McAllister (CDU), sagt unserer Redaktion: „Stand heute hat der Kreml nicht einmal ansatzweise glaubhafte Signale gesendet, dass Interesse an einem diplomatischen Dialog mit der Ukraine, der EU oder dem politischen Westen besteht. Es gibt keine Vertrauensbasis, auf der aufgebaut werden könnte.“

Der CDU-Europapolitiker und Außenexperte David McAllister.
Der CDU-Europapolitiker und Außenexperte David McAllister. © dpa | Michael Matthey

Die bewusste Sprengung des Kachowka-Staudamms sei ein weiterer Beleg, dass eine Sicherheitsvereinbarung mit dem Kreml zum jetzigen Zeitpunkt eine schuldhafte Illusion wäre, sagt McAllister, der den Auswärtigen Ausschuss des Parlaments leitet. „Putin bietet Verhandlungen lediglich zu seinen eigenen Bedingungen an.“ Die Ukraine müsste die besetzten Regionen – fast 15 Prozent ihres Territoriums - als russisches Staatsgebiet anerkennen, bevor Verhandlungen überhaupt beginnen könnten, sagt McAllister. „Ein solches Zugeständnis wäre keine Verhandlung, sondern eine Kapitulation, die die Ukraine zu Recht niemals akzeptieren würde.“

Selenskyj lotet Chancen für Frieden aus – zunächst ohne Russland

Ein nachhaltiger Frieden sei nur realistisch, wenn die Ukraine den nötigen internationalen Rückhalt und die erforderliche Stärke besitze, um ernsthafte Verhandlungen mit Russland zu führen. Ähnlich sieht es Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, die die Bundesregierung berät: „Putin verfolgt weiter seine maximalen Ziele“, sagt Klein.

Auch wenn er vor der Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2024 aus taktischen Gründen einen Waffenstillstand vorschlagen sollte, werde es ihm nur darum gehen, auf Zeit zu spielen und den Konflikt zu kontrollieren. Der Westen, mahnt die Berliner Denkfabrik, müsse die Ukraine stärken, damit sie einen guten Ausgangspunkt für Verhandlungen habe.

Die Ukraine bemüht sich derweil, vertraulich mit einer Gruppe westlicher Staaten und Ländern wie Indien, Brasilien und Südafrika auf eigene Faust Friedensgespräche vorzubereiten – zunächst ohne Russland. An einem Treffen Ende Juni in Kopenhagen nahm auch Jens Plötner, der außenpolitische Berater von Bundeskanzler Olaf Scholz, teil, für die USA reiste der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan an. Dabei ging es nicht nur um Sicherheitsgarantien für die Ukraine, sondern auch um die Frage, was Russland angeboten werden könne, um seine Sicherheitsinteressen zu wahren.

Auch Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, lotet vertraulich mit einer Gruppe westlicher Staaten die Chancen für Verhandlungen aus.
Auch Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, lotet vertraulich mit einer Gruppe westlicher Staaten die Chancen für Verhandlungen aus. © dpa | Kay Nietfeld

Zu einer Abschlusserklärung kam es nicht: Die Ukraine wollte Unterstützung für Selenskyjs Friedensplan, der den vollständigen Rückzug der russischen Armee auch von der Krim vorsieht – das geht Ländern des globalen Südens zu weit. Selbst die vier führenden deutschen Friedensforschungsinstitute erwarten nun kein schnelles Ende des Krieges. Es zeichne sich ein lange andauernder Abnutzungskrieg ab, heißt es in ihrem neuen Friedensgutachten.

Friedensforscher: Verhandlungen müssen langfristig vorbereitet werden

Verhandlungen seien eher dann möglich, wenn beide Kriegsparteien in einer militärischen Pattsituation erkennen würden, dass sie ihre Ziele nicht mehr erreichen können. Es gelte diesen „reifen Moment“ zu erkennen und zu nutzen, um Verhandlungen auf den Weg zu bringen, sagt Ursula Schröder vom Institut für Friedensforschung der Universität Hamburg. Statt „Verhandlungen jetzt und sofort“ müssten erst die Voraussetzungen für sehr schwierige Statusgespräche geschaffen und eine internationale Kontaktgruppe langfristig vorbereitet werden.

Auch wenn die vielen Gesprächsfäden bislang nicht zum Ziel führen, sinnlos sind sie also nicht. Vor kurzem sickerte in Washington durch, das auch Russen und Amerikaner bilateral mögliche Friedensverhandlungen sondieren. An einem Geheimtreffen in New York Ende April nahm der russische Außenminister Sergej Lawrow teil, auf US-Seite waren unter anderem der frühere US-Diplomat Richard Haass und weitere Ex-Beamte der US-Regierung zugegen. Sie sprachen über einen diplomatischen Ausweg aus dem Krieg, auch wenn Russland die besetzten Gebiete nicht vollständig räumt. Details blieben geheim.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Das Weiße Haus versichert, Haass und seine Kollegen hätten nicht im Auftrag der US-Regierung gehandelt. Aber: Washington war vorher informiert und wurde hinterher unterrichtet – nur deshalb wohl hatten die Gespräche für Lawrow einen Wert. Und Präsident Joe Biden ist im Bilde, kann aber offiziell versichern, dass nicht über den Kopf der Ukraine hinweg verhandelt werde; Biden ist sehr daran gelegen, dass der Ukraine-Krieg vor der US-Präsidentschaftswahl Ende 2024 beendet wird.

Was aus der geheimen Gesprächsgruppe wird, ist unklar. Die Teilnehmer schweigen eisern über Inhalte oder weitere Treffen. Haass wirbt aber in Washington öffentlich für die strategische Vorbereitung von späteren Friedensgesprächen durch vertrauliche Kanäle, an denen auch die Ukraine beteiligt ist. Ziel sei zunächst gar nicht ein Waffenstillstand, sondern überhaupt ein regelmäßiger Austausch. Es brauche, sagt Haass, endlich einen Plan, um vom Schlachtfeld an den Verhandlungstisch zu kommen.