München. Aiwanger sieht sich als Opfer einer politischen Kampagne. Sein Auftritt irritiert auch den Antisemitismusbeauftragten Felix Klein.

Bei einem kurzfristig anberaumten Statement in seinem Ministerium in München sagte der Vize-Ministerpräsident am Donnerstagnachmittag, er bereue es zutiefst, wenn er durch sein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen ihn aus seiner Jugend, Gefühle verletzt habe. Der Auftritt Aiwangers dauerte nicht einmal zwei Minuten. Fragen waren nicht zugelassen. In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Seit 2018 regiert die CSU von Ministerpräsident Markus Söder den Freistaat gemeinsam mit den Freien Wählern.

„Ich habe als Jugendlicher auch Fehler gemacht“, sagte Aiwanger in seinem Statement am Donnerstag. „Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten an der wertvollen Erinnerungsarbeit.“ Es gehe um Vorgänge, die 36 Jahre zurückliegen. Er habe das Flugblatt nicht verfasst.

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„Ich distanziere mich in jeder Form von dem ekelhaften Inhalt. Ich war nie ein Antisemit, ich war nie ein Menschenfeind.“ Er könne sich nicht erinnern, jemals einen Hitlergruß gezeigt zu haben und er habe keine Hitler-Reden vor dem Spiegel einstudiert. Weitere Vorwürfe wie menschenfeindliche Witze könne er aus seiner Erinnerung weder vollständig dementieren noch bestätigen. „Sollte dies geschehen sein, so entschuldige ich mich dafür in aller Form.“

Antisemitismusbeauftragter: „Aiwanger schadet der Erinnerungskultur in Deutschland“

Aiwanger fügte hinzu, es sei jedoch nicht akzeptabel, dass diese Verfehlungen „jetzt in einer politischen Kampagne gegen mich und meine Partei“ instrumentalisiert würden. „Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertig gemacht werden.“

Der Antisemitismus-Beauftrage der Bundesregierung, Felix Klein, warf Aiwanger vor, mit seinem Verhalten der Erinnerungskultur in Deutschland zu schaden. Klein sagte unserer Redaktion: „Augenscheinlich geht es dem Minister hauptsächlich um die Abwehr des Vorwurfs, als Schüler Judenhass verbreitet zu haben. Seine mittlerweile erfolgte Entschuldigung bei den Opfern des NS- Regimes erfolgte erst nach Tagen auf massiven Druck von außen. Es fällt auf, dass er die Opfer der Shoa und ihre Nachkommen nicht ausdrücklich erwähnt hat.“

Das Vorgehen des Ministers, sich als Opfer einer Kampagne zu stilisieren und sich spät, wenig und empathielos zu äußern, "dient als schlechtes Vorbild der Politik für junge Menschen in Deutschland" Klein sagte: „Die Bemühungen in Schulen und Gedenkstätten, gerade jüngeren Menschen einen kritischen und verantwortungsvollen Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen zu vermitteln, werden durch das Verhalten von Herrn Aiwanger torpediert.“

Ehemalige Mitschüler erheben weitere Vorwürfe

Der 52-Jährige steht seit dem vergangenen Wochenende wegen eines antisemitischen Flugblatts unter Druck, das in den 1980er Jahren während seiner Schulzeit in Niederbayern entstanden war und über das zunächst die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hatte. Aiwanger räumte unmittelbar nach der Veröffentlichung ein, dass ehedem „ein oder wenige Exemplare“ des Flugblatts in seiner Schultasche gefunden worden seien, wofür ihn die Schule einst mit einer Strafarbeit sanktionierte. Seit Tagen betont Aiwanger aber, das Flugblatt nicht verfasst zu haben. Aiwangers Bruder Helmut, der dieselbe Schule besuchte, will der Autor gewesen sein.

Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger hat sich im Rahmen einer Pressekonferenz in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten entschuldigt.
Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger hat sich im Rahmen einer Pressekonferenz in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten entschuldigt. © dpa | Peter Kneffel

In den vergangenen Tagen hatten sich in verschiedenen Medien ehemalige Mitschüler Aiwangers zu Wort gemeldet und weitere Vorwürfe gegen den heutigen Spitzenpolitiker erhoben. Eine einstige Mitschülerin behauptete, dass Aiwanger als Schüler in den 1980er Jahren öfter Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“ in der Schultasche gehabt habe. Ein ehemaliger Mitschüler wiederum sagte, Aiwanger habe als Jugendlicher sehr häufig Hitler-Ansprachen imitiert, auch judenfeindliche Witze seien „definitiv gefallen“.

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Am Mittwoch hatte Aiwanger als Reaktion darauf gesagt: „Es ist auf alle Fälle so, dass vielleicht in der Jugendzeit das eine oder andere so oder so interpretiert werden kann, was als 15-Jähriger hier mir vorgeworfen wird.“ Er ergänzte: „Aber auf alle Fälle, ich sag seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte: Kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfreund.“ Offenbar hielt es Aiwanger dann am Donnerstag geboten zu betonen, dass er „nie“ ein Antisemit oder Menschenfeind gewesen sei.

Wird Söder an seinem Stellvertreter festhalten?

Unklar ist bislang, ob Ministerpräsident Söder an seinem Stellvertreter festhalten wird. Nach der ersten Veröffentlichung zum antisemitischen Flugblatt hatte der CSU-Chef das Pamphlet als „widerlich“ und als „Dreck“ bezeichnet und mit Blick auf Aiwanger hinzugefügt: „Allein der Verdacht beschädigt das Ansehen Bayerns und natürlich auch die persönliche Glaubwürdigkeit des Wirtschaftsministers.“

Söder übermittelte Aiwanger einen Fragenkatalog mit 25 Fragen mit der Aufforderung, diese „zeitnah“ zu beantworten. Der Ministerpräsident machte auch deutlich, dass er sich eine Fortsetzung der Koalition mit den Freien Wählern ohne Aiwanger vorstellen kann. Die Freien Wähler lehnen dies allerdings vehement ab, sie stehen geschlossen hinter ihrem Chef Aiwanger.

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Auch aus Berlin wächst der Druck auf Aiwanger. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) legte Ministerpräsident Söder am Donnerstag die Entlassung seines Stellvertreters nahe. Faeser sagte unserer Redaktion: „Jedes Bekenntnis der bayerischen Landesregierung gegen Antisemitismus ist irgendwann nichts mehr wert, wenn der stellvertretende Ministerpräsident die schwerwiegenden Vorwürfe gegen ihn nicht ausräumen kann. Es ist eine Frage der Haltung und der Glaubwürdigkeit, dieser von Tag zu Tag immer unwürdigeren Debatte ein Ende zu setzen und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.“ Antisemitismus bekämpfe man nicht durch Sonntagsreden, sondern durch Handeln mit klarer Haltung. Faeser ergänzte: „Hier ist Herr Söder in der Verantwortung.“