Washington. Trump will 2024 erneut Präsident werden – trotz der Anklagen gegen ihn. Seine Chancen stehen nicht schlecht. Selbst hinter Gittern.

Das gab es noch nie in den Vereinigten Staaten von Amerika: Präsidentschaftswahlkampf und parallel dazu live aus Gerichtssälen im Fernsehen übertragene Kreuzverhöre. Aber es gab ja auch noch nie einen Kandidaten und Ex-Präsidenten, der sich in einem Wahljahr in vier großen Strafverfahren vor der Justiz verantworten musste. Donald Trump, wer sonst, sorgt 2024 für diese Premiere. Der Ausgang ist ungewiss – aber möglicherweise wahlentscheidend.

Trump und 18 Komplizen werden In Atlanta im Bundesstaat Georgia der Wahlverschwörung im Stile Organisierter Kriminalität beschuldigt. Tragen die TV-Bilder, die es laut Richter Scott McAfee auf jeden Fall aus dem Gerichtssaal geben wird, den 77-Jährigen im November 2024 ins Weiße Haus? Oder wenden sich Millionen Wähler von dem erfolgreichen Rechtspopulisten ab, wenn die ganze Wucht der Vorwürfe gegen den 45. US-Präsidenten greifbar wird?

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Absehbar ist, dass die Justiz in Amerika schwieriges Neuland betritt. Allein die vielen Verhandlungstage an vier Schauplätzen – Miami, New York, Washington und Atlanta – so zu koordinieren, dass Trump im engen Terminkalender 2024 noch Luft bleibt für Kundgebungen, erscheint als Herkulesaufgabe. Auch der Angeklagte selbst stellt eine Bewährungsprobe dar.

Trump – zwischen Gerichts- und Wahlkampfterminen

Trump wird nach Ansicht von Rechtsexperten gegen alle richterliche Maßregelungen weiter Staatsanwälte und Richter beschimpfen und indirekt Zeugen und potenzielle Geschworene einschüchtern. Würde er dafür belangt – womöglich sogar mit Beugehaft, hätten seine Anhänger einen Grund mehr, ihr Idol als Opfer einer brutalen Gesinnungsjustiz zu verklären. Während über den Start-Termin in Atlanta noch gerungen wird – die Staatsanwaltschaft will bereits in fünf Wochen anfangen, Trump erst 2026, sind andere Verfahren in 2024 bereits fest terminiert:

Richter Scott McAfee im Gerichtssaal in Atlanta, Georgia.
Richter Scott McAfee im Gerichtssaal in Atlanta, Georgia. © AFP | Jason Getz
  • 15. Januar: Den Auftakt macht ein eher nachrangiges Verfahren in New York. Die Kolumnistin E. Jean Carroll fühlt sich von Trump, der bereits einen ersten Zivil-Prozess, in dem es um sexuellen Missbrauch ging, gegen sie verloren hatte, fortgesetzt vom Ex-Präsidenten verleumdet und verlangt erneut Schadensersatz. Am gleichen Tag würde Trump normalerweise zum Auftakt der Vorwahlen der Republikaner im Bundesstaat Iowa um letzte Wählerstimmen kämpfen.
  • 4. März: Das von Sonderermittler Jack Smith initiierte Verfahren wegen versuchter Wahlmanipulation und Verschwörung zu Lasten der Vereinigten Staaten beginnt nach Festlegung von Bundesrichterin Tanya Chutkan an einem politisch enorm wichtigen Tag. Exakt 24 Stunden danach finden am sogenannten „Super Tuesday“ in 15 Bundesstaaten zeitgleich die Vorwahlen für die republikanische Präsidentschaftskandidatur statt. Danach sind 60 Prozent der Delegierten-Stimmen für den Krönungsparteitag im Sommer 2024 verteilt. Trump ist bisher der unangefochtene Favorit. Die Anklage, die über 70 Prozent der republikanischen Wähler als politisch motiviert betrachten, könnte für Trump wie eine Vitamin-Spritze wirken. Aber auch das Gegenteil ist möglich.
  • 25. März: Schweigegeldzahlungen an den Pornostar Stormy Daniels, die buchhalterisch falsch abgerechnet und verbotene Wahlkampf-Hilfe darstellen sollen, stehen ab diesem Tag in New York auf der Tagesordnung. Trump soll mit der Aktrice eine außereheliche Affäre gehabt haben, die geräuschlos beigelegt werden sollte, um 2016 Trumps Wahlchancen nicht zu schmälern. Chefankläger Alvin Bragg hat bereits signalisiert, den Termin verlegen zu können. Sein Verfahren gilt als “juristisches Leichtgewicht”.
  • 20. Mai: Der späteste Termin – es geht um die illegale und unsachgemäße Bunkerei von geheimen Staatsdokumenten in seinem Privat-Domizil Mar-a-Lago – bietet für Trump die bisher günstigste Ausgangskonstellation. Richterin Aileen Cannon ist von ihm ernannt worden und hat bereits mehrfach Entscheidungen getroffen, die im Sinne des Angeklagten waren. Außerdem ist es in Florida wahrscheinlicher, dass die Jury-Auswahl republikanische Wähler auf die Geschworenen-Bank vor dem Bundesgericht in Fort Pierce spült. Hielte am Ende nur einer davon Trump für unschuldig, käme der Ex-Präsident ungestraft davon.
Stormy Daniels soll von Trump Schweigegeld aus Wahlkampfgeldern erhalten haben.
Stormy Daniels soll von Trump Schweigegeld aus Wahlkampfgeldern erhalten haben. © AFP | Eduardo Munoz Alvarez

Vier Anklagen gegen Trump – das ist seine Strategie

Schon heute ist die Strategie der Anwälte-Armada Trumps erkennbar, deren Bezahlung in die Millionen gehen wird. Sie behaupten, Trumps Attacken gegen die aus seiner Sicht getürkte Wahl 2020 sei durch das in der Verfassung gesondert geschützte Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt gewesen. Tenor: Trump sei zutiefst davon überzeugt gewesen, die Wahl gegen Biden gewonnen zu haben. Zweitens: Trump habe niemanden bedrängt, in seinem Sinne illegale Wege einzuschlagen, um das Wahlergebnis nachträglich zu korrigieren – er habe lediglich gefragt. Und drittens: Bei allem habe sich Trump auf die Expertise seiner damaligen Anwälte verlassen, von denen etwa in Georgia sechs ebenfalls angeklagt sind.

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Nachdem alle Versuche der Anwälte gescheitert sind, die Prozesse auf einen Termin nach der Präsidentschaftswahl am 5. November des kommenden Jahres zu verlegen, ist die Möglichkeit eines Urteils vor dem Urnengang nicht mehr von der Hand zu weisen. Es gilt jedoch als nahezu ausgeschlossen, dass Berufungen bis zum Amtsantritt des neuen Präsidenten im Januar 2025 auch die letzte Instanz – den Obersten Gerichtshof – erreichen würden. Ohnehin dürften die vier Großverfahren im September 2024 vorübergehend stoppen. Eine informelle Regel des Justizministeriums besagt, dass 60 Tage vor Wahlen keine Aktivitäten unternommen werden dürfen, die den Ausgang der Wahl beeinflussen könnten.

Nichtsdestotrotz geht es für Donald Trump um die schiere Existenz. Sollte ihm eine Gefängnisstrafe drohen, könnte er seinen Wahlkampf theoretisch selbst hinter Gittern fortsetzen. Ob die republikanische Partei und die Wähler am Ende tatsächlich einen einsitzenden Kriminellen ins Weiße Haus entsenden würden, erscheint zumindest fraglich. Umfragen dokumentieren, dass sich über die Hälfte der republikanischen Wähler dann von Trump endgültig abwenden würde.