Berlin. Der CSU-Chef ist ein Meister der Polarisierung. Genau die beklagt er jetzt. Es ist eine typische Söder-Wende, findet unsere Autorin.

Die CSU und die Grenzen – das ist eine ganz besondere Beziehung. Grenzschutz, Abgrenzung und Obergrenzen, das sind Lieblingsthemen der Christsozialen. Die Grenze, sie vermittelt in diesem Denken Schutz und ein klares Zugehörigkeitsgefühl. Die Koordinaten sind klar: Innerhalb der Grenzen ist die Welt in Ordnung, außerhalb droht Unheil. Übersetzt in konkrete Politik bedeutet das: Die CSU ist immer vorne mit dabei, wenn es um schärfere Grenzkontrollen zum Schutz gegen illegale Migration geht. Oder wenn es um die systematische Beschränkung des Zuzugs geht: Die Obergrenze, mit der die Zahl der Asylsuchenden gedeckelt werden soll, ist ein alter Politik-Schlager der CSU. In der Neuauflage von 2023 heißt die Idee nun Integrationsgrenze. Sprachliche Kosmetik hin oder her – am Ende bleibt die Vorstellung eines Schutzwalls.

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Abgrenzung zu den Grünen, Abgrenzung zu allem, was traditionelle Lebensstile und Wertewelten in Frage stellt, was eher Kreuzberg ist als Gillamoos – auch das ist Ausdruck der Liebe der CSU zur Grenzziehung. Im Bayern-Wahlkampf setzt Markus Söder genau auf diesen Punkt: Der Parteichef zieht die Grenze mitten durchs eigene Land – hier die CSU, dort die Grünen. Mal klingt es harmlos: „Bayern und die Grünen, das ist wie Oktoberfest und Kamillentee.“ Mal klingt es messerscharf: In Bayern, sagt Söder, entschieden die Leute selbst, wer was essen solle, und nicht „einige grüne, verhungerte Funktionäre“.

Politik-Korrespondentin Julia Emmrich
Politik-Korrespondentin Julia Emmrich © Anja Bleyl | Anja Bleyl

CSU: Absolute Mehrheit rückt in weite Ferne

Die Abgrenzung zu den Grünen ist für Söder, so scheint es, die wichtigste, die entscheidende Brandmauer in diesen Tagen. „Kein Schwarz-Grün. Das garantiere ich auch ganz persönlich.“ Als sei ein solches Bündnis das Ende des Abendlandes. Nicht Söder persönlich war es anzulasten, aber allemal dem politischen Klima als Folge dieser knallharten Grenzpolitik: Am Ende flogen sogar Steine auf grüne Wahlkämpfer.

Richtig gefährlich werden kann Söder eine andere Grenze: Landet die CSU am Wahlsonntag am 8. Oktober weit unter der 40-Prozent-Marke, hat der Parteichef ein Problem. Bei der letzten Wahl 2018 hatte Spitzenkandidat Söder bereits den Negativrekord mit 37,2 Prozent erreicht – jetzt liegt die CSU in Umfragen zum Teil sogar nur bei 36 Prozent. Für eine Partei, die es über Jahrzehnte gewohnt war, mit absoluter Mehrheit zu regieren, ist die Schmerzgrenze bei 40 Prozent erreicht, ein Ergebnis unter 37 Prozent wäre ein Fiasko. Besonders bitter: Die CSU konnte nicht mal von den schlechten Zustimmungswerten für die Ampel-Regierung im Bund profitieren. Anders die Parteien rechts der CSU: Freie Wähler und AfD kommen zusammen auf bis zu 30 Prozent.

Markus Söder: Abgerechnet wird erst am Wahlabend

Söder empfiehlt sich kurz vor der Wahl nun als Retter der Demokratie, als Bollwerk gegen Polarisierung. „Man merkt leichte Anfänge von Weimar“, warnt er mit Blick auf die Stimmung im Land. Man dürfe die Leute nicht gegeneinander ausspielen.

Söders Parteifreunde scheint die bemerkenswerte Wende nicht weiter zu stören, an schnelle Wenden ihres Parteichefs sind sie schon gewöhnt. Beim Parteitag am Samstag funktionierte deswegen das, was sie in der CSU kollektive Intelligenz nennen, oder anders: In der Not hält man zusammen. In Zahlen: Mehr als 96 Prozent Zustimmung für Söders Wiederwahl zum Parteichef. Klar: Zwei Wochen vor der Wahl will niemand seinen Parteichef und Spitzenkandidaten beschädigen. Immerhin geht es ja nicht nur um den Mann an der Spitze – sondern um Landtagsmandate, Karrieren, Einfluss. Mit anderen Worten: Es gibt so etwas wie eine professionelle Liebe zu Söder. Zumindest bis zum Wahlabend.