Berlin. Trotz des Urteils gegen die NPD: Auf Karlsruhe kann man sich in diesem Wahljahr nicht verlassen. Wichtiger wird etwas anderes sein.

Man wundert sich fast, dass die Klarstellung so spät kam: Dass die Demokratie ihre Feinde möglicherweise zwar dulden, aber nicht auch noch alimentieren muss, steht erst seit 2017 im Grundgesetz. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit aus Union, SPD und Teilen der Linken schrieb diese Regelung damals in die Verfassung, nachdem Karlsruhe der NPD attestiert hatte, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zwar abschaffen zu wollen, dazu aber nicht in der Lage zu sein.

Es war eine Regelung, die quasi maßgeschneidert wurde auf die inzwischen verzwergte Partei. Dass der Zweite Senat des Verfassungsgerichts sie auf dieser Basis nun von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen hat, kommt daher nicht überraschend. Doch auch wenn die Partei, die heute „Die Heimat“ heißt, mangels Wählerstimmen ohnehin seit geraumer Zeit kein Geld aus staatlichen Töpfen erhält, ist es ein wichtiges Signal. In Anlehnung an Kästner: Der Staat und die Gesellschaft müssen den Kakao, durch den sie gezogen werden, ja nicht auch noch bezahlen.

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Dass die Entscheidung so aufmerksam beobachtet wird, liegt auch am Timing. Denn die Frage, wie umzugehen ist mit denen, die die Institutionen der freiheitlichen Gesellschaft nutzen wollen, um sie von innen heraus zu untergraben, stellt sich zu Beginn dieses Wahljahres vielleicht dringlicher als je zuvor.

Die Bedrohung für die Demokratie ist längst nicht mehr die NPD, sondern die AfD

Und es nicht die NPD, die Demokratinnen und Demokraten Sorgen macht, sondern die AfD. Die kann sich nicht nur über zweistellige Millionenbeträge aus der Parteienförderung freuen, sie steht ein halbes Jahr vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen auch stärker da als je zuvor.

Auch wenn es sehr begründete Sorgen gibt, dass die Partei der Demokratie und Millionen Menschen in diesem Land großen Schaden zufügen könnte: Das Verfassungsgericht wird sie, trotz des heutigen Urteils, daran nicht hindern, zumindest nicht kurzfristig. Das Verhältnis der gesamten Partei zum Grundgesetz gerichtlich beurteilen zu lassen, ist ein aufwendiges, langfristiges Projekt. Und das zurecht; ein mögliches Parteienverbot ist ein gravierender Eingriff in den demokratischen Prozess.

Theresa Martus ist Politik-Korrespondentin in der FUNKE Zentralredaktion.
Theresa Martus ist Politik-Korrespondentin in der FUNKE Zentralredaktion. © Funke Foto Services | Reto Klar

Die Menschen im Land allerdings müssen nicht so lang warten, um sich ein Urteil zu bilden über eine Partei, deren Vertreter bei Geheimtreffen über millionenfache Deportationen fantasieren. Und die Demonstrationen vom Wochenende zeigen: Sehr viele Menschen in Deutschland haben genau das schon getan.

Die Effekte der Demonstrationen gegen die AfD zeichnen sich schon jetzt ab

In großen, mittleren und kleinen Städten, in allen Teilen des Landes und aus allen Teilen der Bevölkerung heraus: Die Demonstrationen sind ein Zeichen, dass sehr viele Menschen in diesem Land nicht bereit sind, passiv darauf zu warten, dass irgendeine Institution schon einschreiten wird. Wehrhafte Demokratie ist eben auch die Aufgabe von Demokratinnen und Demokraten.

Die Kernwählerschaft der AfD – inzwischen bei mindestens zehn Prozent – wird das kaum in ihren Überzeugungen erschüttern. Doch viele andere, die mit der Partei als Frustableiter liebäugeln, könnten jetzt ins Grübeln geraten. Erste Anzeichen für einen solchen Effekt gibt es bereits, in der ersten Umfrage, die während und nach den Protesten entstand, hat die AfD an Zustimmung verloren – zum ersten Mal seit langem. Die Aufgabe ist jetzt, diesen Schub von den Demonstrationen an die Küchentische, in die Kneipenrunden und auf die Sportplätze zu tragen. Denn auch überall dort muss die Demokratie jetzt Zähne zeigen.