Berlin. Die Ex-Linke nimmt für sich in Anspruch, als einzige den Verstand in die Politik zurückholen zu können. Doch das ist purer Populismus.

Sahra Wagenknecht verspricht ihren Anhängern derzeit bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine Rückkehr der Vernunft in die Politik. Was das heißen soll, erklärt sie auch. Keine bevormundenden Gesetze mehr (Stichwort: Heizungsgesetz), stattdessen mehr Eigenverantwortung beim Klimaschutz, keine offene Migrationspolitik, stattdessen gern auch Asylzentren außerhalb der EU. Und vor allem: keine Waffen mehr für irgendwen, stattdessen eine „konsequente“ Friedenspolitik – vor allem mit Russland.

Wer Wagenknecht reden hört, der weiß: Die 54-Jährige ist felsenfest überzeugt davon, dass das alles vernünftig ist – obwohl wir inzwischen wissen, dass die Klimaziele selbst mit einer scharfen Gesetzgebung kaum mehr einzuhalten sind. Obwohl wir wissen, dass nicht weniger Menschen nach Europa strömen werden, wenn wir einige von ihnen in Lagern internieren. Und obwohl wir wissen, dass mit einem Diktator wie Wladimir Putin kein nachhaltiger Frieden zu machen ist.

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„In einer irrsinnigen Welt vernünftig sein zu wollen, ist schon wieder ein Irrsinn für sich“, hat Voltaire geschrieben. Wagenknecht verkauft sich als die Vernünftige unter lauter Irren, dabei bietet auch sie letztlich nur einfache Antworten auf komplexe Krisen – für Wählerinnen und Wähler, die genau das von ihr wollen. Aber wie die AfD muss sich auch das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ im Moment nicht an der Realität messen lassen. Und so wird es voraussichtlich auch bleiben.

Wagenknecht-Partei – große Erwartungen an kleine Truppe

Zwar spekuliert Wagenknecht erstaunlich offen über eine mögliche Regierungsbeteiligung nach den Landtagswahlen im Osten. Doch sollten sich die (eher vagen) Umfragen tatsächlich bestätigen und das BSW könnte etwa in Thüringen Mehrheiten beschaffen, bleibt die Frage: Sind die Strukturen bis dahin überhaupt so weit gewachsen, dass Regierungsarbeit möglich ist? Bislang hat die Wagenknecht-Partei 23 Mitglieder aus Thüringen, einen Landesverband soll es frühestens im März geben.

Judith Görs ist Politik-Korrespondentin in der FUNKE Zentralredaktion.
Judith Görs ist Politik-Korrespondentin in der FUNKE Zentralredaktion. © Privat | Privat

Und selbst wenn es gelänge, die nötigen Strukturen aufzubauen: Würden sich die anderen Parteien auf ein Experiment mit dem Bündnis einlassen? All das ist mehr als fraglich – zumal gerade die Positionen von Wagenknecht in Bezug auf den Ukraine-Krieg politisch nicht mehrheitsfähig sind. Wo also liegt die Vernunft in der Sache? Was genau will das BSW, was will Wagenknecht erreichen? Auch nach diesem Gründungsparteitag ist das nicht viel klarer geworden.

Hält Wagenknecht durch, bis sich das Bündnis etabliert hat?

Wer ihr wohlgesonnen ist, kann argumentieren, dass sie die AfD dank ihrer Popularität – zumindest im Osten – deutlich schwächen kann. Doch erste Umfragen legen nahe, dass das BSW seine Anhänger vor allem von der Linken zieht. Immerhin sind auch viele der Erstmitglieder enttäuschte Linke. Laut dem jüngsten ZDF-Politbarometer würden mehr als die Hälfte der Linken-Anhänger bei der nächsten Bundestagswahl zum BSW wechseln, unter AfD-Anhängern sind es etwas mehr ein Drittel. Bei der SPD immerhin 15 Prozent.

Diese Zahlen leben – zumindest das ist nach dem Parteitag in Berlin sicher – von der Projektionsfläche, die Wagenknecht bietet. Mancher hält sie für genial, manch anderer schlicht für demagogisch. Aber der erste Teil könnte einen Unterschied machen, wenn es um die künftige Parteienlandschaft geht. Die Frage ist, ob Wagenknecht diesem Druck standhalten kann. Wer hohe Erwartungen weckt, muss sie auch erfüllen können. Das wird ein Grund dafür gewesen sein, warum die Parteivorsitzende ihre Leute auf ein pflegliches Miteinander einschwor. Ihre Partei soll nicht den Weg der Linken gehen.