Brüssel. Offizielle Bestätigung aus Polen: Nato-Soldaten sind in der Ukraine. Fakten, Hintergrund und was das mit Kanzler Scholz zu tun hat

Mitten im Ukraine-Krieg sorgen diese Sätze für Unruhe in der Nato und in Russland: „Soldaten aus Nato-Ländern sind bereits in der “, räumte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski in Warschau ein. Bei einer Veranstaltung zum 25. Jubiläum des Nato-Beitritts Polens sagte der Politiker, er wolle „den Ländern danken, die dieses Risiko eingehen.“ Das russische Außenministerium reagierte gereizt: Es habe keinen Sinn mehr, die Präsenz von Nato-Soldaten zu leugnen.

Nato-Soldaten in der Ukraine? Hinweise hatte es schon in der Vergangenheit gegeben. Der britische General Robert Magowan hatte vor einiger Zeit schon enthüllt, Elitesoldaten der Kommando-Gruppe 45 der britischen Royal Marines hätten in dem von Russland angegriffenen Land „verdeckte Operationen“ ausgeführt. Die Soldaten agierten demnach „in einem äußerst sensiblen Umfeld und mit einem hohen Maß an politischem und militärischem Risiko“.

Die Elitetruppe war vor dem russischen Überfall zur Evakuierung der britischen Botschaft gerufen worden und Monate später, mitten im Krieg, nach Kiew zurückgekehrt – zum Schutz der Botschaft, aber eben auch zu verdeckten Operationen, wie der heutige Vizechef des britischen Verteidigungsstabes erläuterte. Was genau die Elitekämpfer gemacht haben, ist weiter geheim. Ungewöhnlich genug, dass ein westlicher Militär über solche Einsätze in der Schattenzone des Ukraine-Kriegs redet.

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Es sind bis heute brisante Missionen im Verborgenen: Soldaten mehrerer Nato-Staaten sind in überschaubarer Zahl und überwiegend geheim in der Ukraine stationiert. „Man redet nicht darüber, aber es ist klar, dass westliche Spezialkräfte in der Ukraine unterwegs sind“, heißt es in Sicherheitskreisen in Brüssel. Hinzu kämen Militärberater und Geheimdienstmitarbeiter zahlreicher westlicher Staaten. Es bestehe, heißt es, kein Zweifel daran, dass die russische Führung genau im Bilde sei und wisse, was vor sich gehe – ohne bislang Anlass zu einer Reaktion zu sehen.

Einsatz in Ukraine: US-Dokument listet hundert Spezialkräfte auf

Ein streng geheimes Dokument des US-Verteidigungsministeriums („Top secret“) , das im vorigen Jahr durchsickerte, listete knapp hundert Spezialkräfte aus Nato-Armeen auf: Die Hälfte der Soldaten kam demnach aus Großbritannien, weitere aus Frankreich, den USA, den Niederlanden und Lettland. Dass die Soldaten an der Seite ukrainischer Truppen an Kampfeinsätzen gegen russische Truppen teilnehmen, wird von den verantwortlichen Regierungen klar zurückgewiesen – es gibt dafür bis heute auch nicht das geringste Indiz. Eine Kriegsbeteiligung westlicher Staaten bedeutet die Präsenz der Soldaten also erstmal nicht.

Nach Taurus-Abhörskandal: Aufklärung und Konsequenzen im Fokus

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    Heikel ist die Anwesenheit der Eliteeinheiten trotzdem, weshalb die Militärs der beteiligten Nato-Länder sich weitgehend in Schweigen hüllen. Anzahl der Soldaten unklar, Aufgaben vage. Deshalb sorgen die neuen Töne aus Deutschland für große Irritationen bei westlichen Verbündeten. Erst deutete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) öffentlich an, dass britische Soldaten der Ukraine bei der Zielsteuerung der britischen Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow und der französischen Variante Scalp helfen – Scholz schloss so etwas für Deutschland aus. „Damit hat Scholz ungewollt dazu beigetragen, das Tabu der Präsenz von Nato-Kräften in der Ukraine zu brechen“, sagt Francois Heisbourg vom Londoner Institut für Strategische Studien (IISS).

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    Die britische Regierung versuchte es anfangs mit einem Dementi, während Sicherheitsexperten im Londoner Parlament dem deutschen Kanzler Geheimnisverrat vorwarfen. Dann wurde durch die Abhörpanne der Bundeswehr auch öffentlich klar, dass Scholz im Prinzip richtig lag: Die Briten hätten für den Einsatz der Storm Shadows „ein paar Leute vor Ort“, sagte in dem abgehörten Gespräch der Chef der Luftwaffe, Inspekteur Ingo Gerhartz, der im engen Kontakt mit den Briten steht.

    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besichtigt einen französischen Marschflugkörper vom Typ Scalp.
    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besichtigt einen französischen Marschflugkörper vom Typ Scalp. © imago/UPI Photo | IMAGO/UKRAINIAN PRESIDENTIAL PRESS OFF

    Für Russland ist die Präsenz ausländischer Soldaten nichts Neues

    Sie hätten schon die ukrainischen Flugzeuge verkabelt und könnten auch beim „Loading“ deutscher Taurus-Marschflugkörper den Ukrainern über die Schulter gucken. Aber womöglich könnten auch die Amerikaner helfen – es liefen ja „viele Leute mit amerikanischem Akzent in Zivilklamotten“ herum. Für die deutsche Öffentlichkeit zum Teil überraschend, für die russische Armeeführung aber sicher nichts Neues; sonst hätte sie das abgehörte Gespräch wohl kaum veröffentlicht. Polens Außenminister Sikorski konnte sich also sicher sein, dass er dem Kreml keine Geheimnisse mehr verrät. Er hielt sich aber bedeckt, wer die Nato-Soldaten entsendet - mit einem Seitenhieb auf Scholz: „Im Gegensatz zu einigen europäischen Politikern“ wolle er nicht verraten, welche Länder er konkret meine.

    Die Anwesenheit westlicher Militärs und Geheimagenten jenseits der Front kann eigentlich auch nicht verwundern. Schon vor dem Überfall gab es eine intensive militärische Zusammenarbeit zwischen Nato-Ländern und der Ukraine, ausgelöst durch die russische Okkupation der Krim 2014 und den Konflikt in der Ostukraine. Die Nato unterhielt ein Verbindungsbüro in Kiew, die USA bildeten allein in einem Trainingscenter in der Nähe von Lemberg in der Westukraine 27.000 ukrainische Soldaten aus, Tausende weitere wurden von Militärberatern anderer Nato-Staaten instruiert.

    Als der russische Überfall begann, zogen sich die Militärausbilder aus Sicherheitsgründen zurück. Dafür schickten mehrere Nato-Staaten Spezialkommandos in die Ukraine. Der Schutz der jeweiligen Botschaft ist offiziell eine der Aufgaben, vielleicht auch nur Tarnung: Training ukrainischer Soldaten, die Aufsicht über gelieferte Rüstungsgüter und Beratung der ukrainischen Armee gehören auch nach den knappen Angaben beteiligter Regierungen zu den Aufträgen.

    Russland-Reportagen von Jan Jessen

    CIA soll eng mit dem ukrainischen Geheimdienst kooperieren

    Vorige Woche, nach den Äußerungen von Scholz, bestätigte die britische Regierung den Einsatz einer „kleinen Anzahl“ von Soldaten in der Ukraine, deren Aufgabe es auch sei, „die ukrainischen Truppen unterstützen“ – was immer das heißt. Das US-Verteidigungsministerium hat vor einiger Zeit berichtet, es sei eine kleine Zahl von Spezialkräften an der US-Botschaft in Kiew stationiert und überwache von dort aus auch die umfangreichen Rüstungslieferungen in der Ukraine. Doch gibt es immer wieder auch Hinweise, dass die US-Soldaten ukrainische Truppen mit Geheimdienst-Erkenntnissen über den russischen Gegner versorgen.

    Die Zentrale der US-Geheimdienstes Central Intelligence Agency (CIA) in Langley, Virginia. Mitarbeiter des CIA sind offenbar auch in der Ukraine im Einsatz.
    Die Zentrale der US-Geheimdienstes Central Intelligence Agency (CIA) in Langley, Virginia. Mitarbeiter des CIA sind offenbar auch in der Ukraine im Einsatz. © AFP | Samuel Corum

    Seit der erfolglosen Gegenoffensive verstärken die USA ohnehin auch die Beratung der ukrainischen Armeeführung: Militärberater der US-Armee sind regelmäßig in Kiew, nun soll sich der Drei-Sterne-General Antonio Aguto öfter in Kiew aufhalten, um direkter mit der militärischen Führung zusammenzuarbeiten. Eine enge Kooperation gibt es offenbar auch zwischen dem US-Geheimdienst CIA und ukrainischen Stellen. Die „New York Times“ berichtet über eine starke Präsenz des Geheimdienstes in der Ukraine, mit einem Netzwerk von Kommandos und Agenten auch der europäischen Partner-Dienste – und zwölf geheimen Stationen entlang der russischen Grenze. Quellen in Kiew sagen, der ukrainische Geheimdienst habe für die Zusammenarbeit mit der CIA sogar eine eigene Abteilung eingerichtet.

    Der frühere US-General James Stavridis, einst oberster Nato-Kommandeur in Europa, lobte schon mal: „Auch wenn die US-Geheimdienste alles andere als perfekt sind, konnten sie den Ukrainern Langzeiteinschätzungen russischer Stellungen, gefährdeter Logistikknoten, Truppen- und Panzerbewegungen, maritimer Dispositionen der Schwarzmeerflotte und einen Eindruck von den allgemeinen russischen Absichten vermitteln.“ Dies sei einhergegangen mit regelmäßigen, vernünftigen militärischen Ratschlägen der Nato-Kommandos, insbesondere denen der USA und Großbritanniens. Beratung und Information seien ein wichtiges Element zur Unterstützung der Ukraine, erklärte Stavrides. Westliche Soldaten erwähnte er nicht.