Kiew. Auch wenn sich nichts ändert an den Machtverhältnissen in Russland, die fünfte Amtszeit des Kremlchefs wird Folgen haben für Kiew.

Aus ukrainischer Perspektive ändert die Scheinwahl in Russland auf den ersten Blick nichts an der Kriegsrealität. Auch nur ansatzweise ernst zu nehmende oppositionelle Kandidaten sind nicht zugelassen worden – entsprechend gering ist das Interesse an der Wahlshow in Kiew und anderswo in der Ukraine. Auch die Aktion der russischen Opposition „Mittag gegen Putin“, für die alle Russen dazu aufgerufen waren, am Sonntag um 12 Uhr vor Wahllokalen zu erscheinen, um ein Zeichen zu setzen, löste in einem Land mit zwei Revolutionen innerhalb der vergangenen 20 Jahre eher Gleichgültigkeit aus.

Die unvermeidliche fünfte Amtszeit für Wladimir Putin wird dennoch Folgen haben für Kiew: Das Ziel ist nach wie vor, den Krieg möglichst auf russisches Territorium zu tragen – und daher wird die Ukraine weiter versuchen, für Instabilität im Land zu sorgen. Zuletzt haben das die Sabotageaktionen der aufseiten der Ukraine kämpfenden russischen Freiwilligen im Grenzbezirk Belgorod bewiesen, die pünktlich zur Wahlwoche deutlich zugenommen haben.

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Auch die Russen sollen die Folgen des seit mehr als zwei Jahren andauernden Angriffskrieges spüren. Aufgrund der internationalen Verpflichtungen wird die Ukraine aber weiterhin keine eigenen Truppen dafür einsetzen – und weil die Zahl der pro-ukrainischen Kämpfer in russischen Einheiten gering sein dürfte, bleibt es bei Nadelstichen mit einer gewissen PR-Wirkung. Viel wichtiger für die Ukraine ist aber ohnehin, dass Putin im Rahmen dieser Wahl zumindest von westlichen Staaten eine zusätzliche Delegitimierung erfährt.

Kiew appelliert an Westen, Putin zu delegitimieren

Einen entsprechenden Appell richtete das ukrainische Parlament in dieser Woche an die internationale Gemeinschaft – und es gibt einen Präzedenzfall: Seit der gefälschten Wahl im August 2020 wird der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko auch von Deutschland nicht mehr als Präsident bezeichnet. Argumente für einen solchen Entschluss auch im Fall von Putin gibt es tatsächlich genug: der Wahlausschluss von Kriegskritiker Boris Nadeschdin etwa oder die Tatsache, dass die Scheinwahl völkerrechtswidrig auch in sechs teilbesetzten ukrainischen Regionen ausgetragen wird.

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Eigentlich hätten die Wahlen dort auch nach russischem Recht gar nicht stattfinden dürfen. Denn in vier der teilbesetzten ukrainischen Regionen hat der Kreml das Kriegsrecht verhängt – und das schließt die Austragung jeglicher Wahlen eigentlich aus. Auf Wunsch Putins wurden die entsprechenden Gesetze aber blitzschnell geändert und vom Parlament abgesegnet.

Würde Putin vom Westen als Präsident nicht mehr anerkannt, wäre das langfristig ein klares Signal: dass es unter ihm keine Rückkehr zu normalen Beziehungen mit Russland geben wird, auch nicht in der Zeit nach dem Krieg. Doch ob der Westen so weit gehen wird, ist fraglich. „Niemand wird Putin zum Sieg gratulieren und es wird Statements zur Nichtanerkennung der Wahlergebnisse in besetzten Gebieten geben“, sagt der ukrainische Politiloge Wolodymyr Fessenko. „Den Rest wird man aber höchstwahrscheinlich vorerst im Unklaren lassen, um Gesprächskanäle nicht komplett zu schließen.“

Russland könnte eine zweite Mobilisierung vornehmen

Wichtig ist für die Ukraine aber auch die Frage, ob es nach der Wahl zu einer weiteren Mobilmachung in Russland kommen wird. Die erste und letzte große Mobilisierungswelle hatte es im September 2022 gegeben, vor der Abstimmung ein weiteres Mal Zehntausende Reservisten einzuziehen, wäre unglücklich gewesen. Schon 2018 hat es Putin so gemacht – und die damals ungeliebte, aber unvermeidliche Rentenreform auf die Zeit nach der Präsidentschaftswahl verlegt.

Unklar ist, ob Russland eine neue Mobilmachung überhaupt braucht: Bislang scheint es zu gelingen, eine beachtliche Zahl von Vertragssoldaten dank lukrativer finanzieller Bedingungen zu rekrutieren. Und auch nach der Wahl ist zu erwarten, dass der Kreml versuchen wird, eine Mobilisierung so still und geheim durchzuführen, wie es nur geht – um sozialen Spannungen wie im September 2022 gleich aus dem Weg zu gehen. Die Ukraine wird so oder so darauf reagieren müssen.