Erfurt. Im Thüringer Superwahljahr rekapituliert der Jenaer Politikwissenschaftler Torsten Oppelland in seiner Ringvorlesung das politische Kräftverhältnis im Land und schaut ein wenig in die politische Glaskugel.

Was blüht Thüringen im Superwahljahr? Welche politischen Konstellationen sind nach fünf Jahren Regierungsminderheit und mit neuen Parteien wie dem BSW oder der Werteunion möglich? Zum Auftakt einer neuen Reihe gemeinsamer Ringvorlesungen von Thüringer Allgemeine, Thüringer Landtag und Erfurter Universität blickte Torsten Oppelland, Lehrstuhlinhaber für vergleichende Regierungslehre an der Universität Jena und aufmerksamer Beobachter der Parteienlandschaft, zurück auf das rot-rot-grüne Regieren ohne Mehrheit und den Einfluss auf die politische Stabilität der Parteienlandschaft im Bundesland.

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Thema der neuen Vorlesungsrunde ist das Superwahljahr in Thüringen. Dreimal werden die Thüringer 2024 an die Urnen gerufen, beginnend mit der Kommunalwahl im Mai und der Europawahl im Juni, gefolgt schließlich von der Landtagswahl im September. Entsprechend gut besucht war der Plenarsaal des Landtages. Er könne keine Prognosen über den Ausgang der bevorstehenden Wahlen treffen. Stattdessen konzentrierte er sich auf Arbeitsweise und Erfolge der Minderheitsregierungen. Dazu gekommen sei es, weil die AfD bei den letzten Landtagswahlen stimmenmäßig zulegte, während alle anderen verloren.

Echte Minderheitsregierung ohne feste Tolerierung ist bundesweit einmalig

Normalerweise, so Oppelland, seien Konstellationen, bei denen keine Partei oder Koalition eine absolute Mehrheit im Parlament innehat, ungewöhnlich und eher von kurzer Dauer. Stattdessen habe die Regierungsform in Thüringen sogar unterschiedlichste Ausprägungen durchlaufen. Von der als „Notlösung“ gedachten Übergangsregierung unmittelbar nach den Wahlen über eine Art Tolerierungsmodell in Form des sogenannten „Stabilitätsmechanismus“ zwischen Rot-Rot-Grün und CDU bis hin schließlich zur „echten“ Minderheitsregierung, in der Kompromisse und Mehrheiten jeweils einzeln ausgehandelt werden mussten. Letzteres sei bundesweit einmalig. Die COVID-19-Pandemie habe die Kooperation zwischen den verschiedenen politischen Ebenen erleichtert, da sich einerseits ein Großteil der Politik zwischen Bund und Ländern abspielte und andererseits die Landes-CDU die Bundes-CDU nicht brüskieren wollte.

Blick in den voll besetzten Plenarsaal des Thüringer Landtages während der Ringvorlesung mit Torsten Oppelland, Leiter des Arbeitsbereichs Vergleichende Regierungslehre an der FSU Jena.  
Blick in den voll besetzten Plenarsaal des Thüringer Landtages während der Ringvorlesung mit Torsten Oppelland, Leiter des Arbeitsbereichs Vergleichende Regierungslehre an der FSU Jena.   © Marco Schmidt

Der rot-rot-grünen Landesregierung bescheinigt Oppelland in seiner Vorlesung eine durchaus vorzeigbare Bilanz. So sei die Zahl der verabschiedeten Gesetze vergleichbar mit der in anderen Legislaturperioden. Aushandlungsprozesse seien allerdings schwieriger und langwieriger gewesen und auch Gesetzesentwürfe der Opposition durchgekommen. Viele Bürgerinnen und Bürger habe die Arbeit politisch nicht überzeugt. Das zeigten Umfrageergebnisse mit nur mäßigen Zufriedenheitswerten. Stabilität und Funktionsfähigkeit des Regierens ohne Mehrheit bleibe so eine offene Frage, insbesondere im Hinblick auf die anstehenden Wahlen und die Neugestaltung der politischen Landschaft im Land.

Stabile Mehrheitsregierung in Thüringen ist eher unwahrscheinlich

Ob es wieder stabile Mehrheiten geben könne, hänge nicht zuletzt von den Parteineugründungen der letzten Wochen ab. Als direktes Ergebnis der beschriebenen Unzufriedenheit mit der Minderheitenregierung wollte der Wissenschaftler sie nicht sehen. So gebe es für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit einer auf die kleinen Leute gerichteten Sozialorientierung sowie der Kritik an Migration und Ukrainekrieg durchaus ein potenzielles Wählersegment. Wenn es gelinge, dieses zu mobilisieren und im Wahlkampf zu personalisieren, in Thüringen beispielsweise in der Person von Katja Wolf, frühere linke Oberbürgermeisterin von Eisenach, seien die Aussichten für das BSW gut und der Zeitpunkt der Parteigründung mit Blick auf die Europawahlen ohne Fünf-Prozent-Hürde gut gewählt. Dagegen gebe es für die Werteunion von Hans-Georg Maaßen zwischen CDU und AfD nur wenig Platz.

Brandmauern können zu viel Einfluss extremistischer Parteien verhindern

Ob Thüringen die Unregierbarkeit drohe, wurde der Redner in der anschließenden Diskussion gefragt. Oppelland verneinte, jedoch mit der Einschränkung, dass auch eine Mehrheitsregierung eher unwahrscheinlich sei. Dies könnte eine Fortsetzung der bisherigen Minderheitsregierung oder unkonventionelle Koalitionen erfordern. Auf die Frage nach den Auswirkungen der Minderheitsregierung auf den politischen Diskurs zwischen den Parteien in Thüringen zeigte sich Oppelland skeptisch. Er habe keine signifikante Verbesserung in der Zusammenarbeit zwischen den Abgeordneten verschiedener Parteien beobachten können.

Eine Verbindung der aktuellen politischen Lage mit den Ereignissen von 1924, als eine von Rechtsextremen tolerierte bürgerliche Minderheitsregierung letztlich den Aufstieg der NSDAP beförderte, wies Oppelland zurück. Weder sehe er eine solche Zusammenarbeit, noch sei die Situation vergleichbar mit der damaligen revolutionären Stimmung. „Brandmauern“ könnten in der Demokratie dazu beitragen, extremistische Parteien wie die AfD von zu viel Einfluss abzuhalten. Das gelte insbesondere für mögliche Blockaden, wenn es um Verfassungsänderungen oder ähnlich grundlegende Entscheidungen geht.

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