Brüssel. Im Streit um das Asylrecht in Europa haben sich die EU-Innenminister auf neue Regeln geeinigt – zum Ärger vieler Grünen-Politiker.

  • Die EU-Innenministerinnen und -minister haben sich am Donnerstag auf eine Verschärfung des Asylrechts geeinigt
  • Die Entscheidung fiel nach stundenlangem Tauziehen
  • Noch gibt es aber offene Fragen - und vor allem seitens der Grünen viel Kritik

Die umstrittene Verschärfung des Asylrechts in Deutschland und Europa ist einen großen Schritt vorangekommen. Die EU-Innenminister einigten sich am Donnerstag in Luxemburg auf einen Kompromiss. Demnach soll ein Teil der Asylanträge schon in zentralen Sammelstellen an den Außengrenzen der EU geprüft und im Eilverfahren entschieden werden.

Migrantinnen und Migranten ohne Chance auf Asyl würden von dort aus sofort wieder zurückgeschickt. Allerdings handelt es sich bei der Verständigung der Innenminister nur um eine Vorentscheidung: Die endgültige Gesetzeslösung muss der Rat der Mitgliedstaaten jetzt erst noch mit dem EU-Parlament aushandeln.

Faeser spricht von einem "historischen Erfolg"

Eine finale Einigung wird für Anfang nächsten Jahres erhofft. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem "historischen Erfolg" für die EU, für eine solidarische Migrationspolitik und den Schutz von Menschenrechten.

Die Entscheidung der 27 Innenminister fiel erst nach stundenlangem Tauziehen. Mehrere Staaten wie Polen und Ungarn lehnten den Kompromiss ab. Eine Reihe von Ländervertretern, darunter die Italiens und Österreichs, hatten noch am Morgen Bedenken und Änderungswünsche angemeldet.

Zuletzt wurden die Verhandlungen auch durch die Forderung Deutschlands verkompliziert, dass Familien mit Kindern bis 18 Jahren von den neuen strengen Grenzverfahren ausgenommen werden müssten – darauf hatten in der Berliner Ampel-Koalition vor allem die Grünen gedrängt.

Vizekanzler Robert Habeck (Die Grünen) verteidigte die EU-Asyleinigung trotz aller Vorbehalte. "Dass die EU trotzdem zusammenfinden kann, ist gerade in einer Zeit, in der wir als Union zusammenstehen müssen, ein Wert“, sagte er der dpa am Abend. Der Kompromiss sei "sehr schmerzhaft".

Asylrecht: Die Vorentscheidung im Überblick

  • Ein Teil der Asylanträge werden in Sammelstellen an EU-Außengrenzen geprüft, wo Asylbewerber:innen künftig bereits ein Screening durchlaufen müssen
  • Die Anträge werden im Eilverfahren entschieden
  • Migranten aus verwundbaren Gruppen bzw. mit guten Chancen auf einen Schutzstatus wechseln dann ins eigentliche Asylverfahren
  • Der Antrag von Migranten aus Staaten mit niedrigen Anerkennungsquoten soll innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden. Besteht keine Chance auf Asyl, folgt innerhalb von drei Monaten eine Abschiebung
  • Um die Abschiebung zu erleichtern, soll in Asylzentren die "Fiktion der Nichteinreise“ gelten – Migrant:innen werden im Grenzverfahren so behandelt, als befänden sie sich noch nicht auf dem Gebiet der EU
  • Um die Überwachung und Abschiebung abgelehnter Asylsuchender zu erleichtern, sollen ihre Daten umfassend und zentral gespeichert werden

Asyl-Einigung: Deutsche Grüne kritisieren Beschlüsse

Von mehreren Grünen-Politikern kam am Abend scharfe Kritik. "Diese Einigung ist ein Fehler", schrieb der grüne EU-Parlamentarier Erik Marquardt auf Twitter. "Kaum eine der Prioritäten der deutschen Bundesregierung ist erfüllt worden, die Verhandlungen waren für Deutschland nicht erfolgreich." Es habe einen "Durchmarsch rechter Positionen" gegeben, es handle sich um "eine Einigung um jeden Preis".

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Auch die deutsche Grünen-Chefin Ricarda Lang übte im Anschluss Kritik. Der Kompromiss werde dem "Leid an den Außengrenzen nicht gerecht und schafft nicht wirklich mehr Ordnung", kommentierte Lang auf Twitter. Zwar gebe es gewisse Verbesserungen, aber zentrale Forderungen seien nicht erreicht worden.

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Verschärfung des Asylrechts: Das sind die Pläne der EU-Innenminister

Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte während der Ministerberatungen, die Kinderschutz-Bedenken seien ein "echtes Problem“, das noch gelöst werden müsse. Faeser signalisierte aber, dass Deutschlands vorrangiges Interesse einer Verständigung galt: "Ohne Einigung ist der Schengen-Raum in Gefahr, dann drohen wieder nationalstaatliche Grenzschließungen“, sagte die SPD-Politikerin.

Eine große Mehrheit der anderen Staaten lehnte zusätzliche Ausnahmen für Kinder vehement ab aus Sorge, dass dies einen weiteren Anreiz zur Flucht ganzer Familien bieten würde: Es blieb deshalb am Ende beim Vorschlag, dass nur Kinder unter 12 Jahren vom Grenzverfahren verschont bleiben sollen.

Die Abschiebung soll erleichtert werden

Eckpunkte des geplanten Asylverfahrens: Jeder Asylbewerber und jede Asylbewerberin muss künftig bereits an den EU-Außengrenzen eine Identitäts-, Sicherheits- und Gesundheitsprüfung durchlaufen, ein sogenanntes Screening. Danach werden die Migranten, die wegen ihres Herkunftslandes erfahrungsgemäß eine gute Chance auf einen Schutzstatus haben oder zu einer besonders verwundbaren Gruppe zählen, ins eigentliche Asylverfahren wechseln – entweder im Ankunftsland oder in einem anderen Staat der Europäischen Union.

Innenminister Nancy Faeser (SPD) trieb die Einigung auf EU-Ebene entscheidend voran.
Innenminister Nancy Faeser (SPD) trieb die Einigung auf EU-Ebene entscheidend voran. © AFP | John Thys

Anders würde mit Menschen verfahren, die aus einem als sicher geltenden Staat einreisen, die bei einem Täuschungsversuch ertappt werden oder deren Herkunftsland vermuten lässt, das ihr Antrag sehr wahrscheinlich abgelehnt wird – Staaten mit niedrigen Anerkennungsquoten sind zum Beispiel Marokko,die Türkei oder Nigeria: Für diese Asylbewerber soll innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob ihr Antrag eine Chance hat. Wenn nicht, würden die Betroffenen innerhalb von drei Monaten zurückgeschickt.

Die Abschiebung soll dadurch erleichtert werden, dass in diesen Asylzentren die "Fiktion der Nichteinreise“ gilt – die Migranten werden im Grenzverfahren so behandelt, als befänden sie sich noch nicht auf dem Gebiet der Europäischen Union. Die Überwachung und Abschiebung abgelehnter Asylsuchender soll auch im gesamten EU-Gebiet erleichtert werden, indem zum Beispiel ihre Daten umfassend und zentral gespeichert werden.

Polen und Ungarn wollten die Entscheidung vertagen

Weiterer Eckpfeiler ist eine neue Solidaritätsregelung bei der Aufnahme von Flüchtlingen: Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen soll künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Wenn Länder mit einem ungewöhnlich großen Zustrom an Menschen belastet sind, sollen sie über diesen Solidaritätsmechanismus Unterstützung von anderen Mitgliedstaaten beantragen können. Eine bestimmte Anzahl an Schutzsuchenden würde dann über einen Verteilungsschlüssel in andere Länder kommen.

Eine Aufnahmepflicht für jeden EU-Staat wird es aber nicht geben: Mitgliedsländer, die keine Flüchtlinge bei sich unterbringen wollen, müssten Ausgleichszahlungen leisten. Im Gespräch waren 22.000 Euro pro Person – was die Innenminister Polens und Ungarns in der Sitzung als unzumutbar hoch kritisierten.

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Verschärfung des Asylrechts: Warum es jetzt Streit zwischen Rat und Parlament gibt

Ungarn und Polen verlangten wegen zahlreicher Einwände, die Entscheidung über einen Asylkompromiss den Staats- und Regierungschefs beim nächsten EU-Gipfel zu überlassen, wohl mit dem Hintergedanken, dass sie wegen des dort geltenden Einstimmigkeitsprinzip ein Veto einlegen können. Wie die endgültige Asylregelung der EU aussehen wird, ist auch nach der Luxemburger Einigung offen. Die anstehenden Verhandlungen zwischen dem Rat der Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament dürften schwierig werden:

Das Parlament weicht in seiner bereits beschlossenen Position weit vom Standpunkt der Innenminister ab. So fordern die Abgeordneten, dass die geplanten Eil-Verfahren in Asylzentren an den Grenzen nicht zwingend vorgeschrieben werden, sondern für die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen freiwillig bleiben.

Die Vizepräsidentin des Parlaments, Katarina Barley (SPD) kündigte an, eine "inhumane Flüchtlingspolitik“ würden die Abgeordneten zu verhindern versuchen. Innenminister Faeser erklärte, die Bundesregierung werde sich auch in den bevorstehenden Verhandlungen für einen stärkeren Schutz von Kindern stark machen. Die stark steigenden Asylbewerberzahlen – allein in Deutschland wurden bis Ende April 102.000 Anträge registriert, 80 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum – erhöhen aber den Einigungsdruck. Zudem fürchten viele EU-Politiker, dass ein Scheitern der Asylreform bei den Europawahlen im Juni 2024 von rechtspopulistischen Parteien ausgeschlachtet werden könnte.