Tiflis. Der sowjetische Diktator stammte aus Georgien, das Land strebt nun nach Westen. Wie die Stadt Gori mit der eigenen Vergangenheit ringt.

Wer zum Diktator will, muss schon ein bisschen suchen in Stalins Geburtsstadt Gori, rund 85 Kilometer von der georgischen Hauptstadt Tiflis entfernt. Mit ein bisschen Glück bekommt man die Koordinaten. Unter der Hand, als wären sie ein Staatsgeheimnis. Auf einem Lagergrundstück am Rande der Stadt liegt Josef Stalin, genannt „der Stählerne“ – mit dem Gesicht nach unten.

Der Umgang mit seinem Denkmal ist ein Sinnbild für das schwierige Verhältnis Georgiens zu seiner Geschichte. In einer Hauruck-Aktion hatte die Stadtverwaltung 2010 das Stalin-Denkmal im Stadtzentrum von Gori abgerissen. Damals, nach dem Krieg mit Russland 2008, als sich Georgien längst schon in Richtung der EU zu orientieren begann. Keine Erinnerung an die Sowjetzeit des Landes sollte übrigbleiben. Seitdem streitet man in der Stadt um die Zukunft des Denkmals.

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„Das ist Teil der Geschichte“, sagt Ketewan Achobadse, die Vorsitzende der „Stiftung Stalin-Museum“, unserer Redaktion. Sie würde das Denkmal gerne wieder aufstellen, nicht im Stadtzentrum, aber auf dem Museumsgelände. „Es gibt viele Leute, die viel Schmerzhaftes erlebt haben und den Schmerz noch immer nicht vergessen haben. Andere sehen Stalin als Teil der Geschichte Georgiens und wollen sich dem stellen.“

Stalin: Museum in Gori ist ein Touristenmagnet - vor allem für Russen

Das Stalin-Museum in Gori ist ein Touristenmagnet. 89.000 Besucher kamen im vergangenen Jahr, zumeist Besucher aus Russland. Stalin wurde 1878 in Gori geboren, sein Geburtshaus steht auf dem Museumsgelände. Hier verbrachte Stalin, Sohn eines Schuhmachers, seine ersten Lebensjahre. 1957, vier Jahre nach dem Tod Stalins, wurde das Museum eingeweiht.

2010 ließ die Stadtverwaltung von Gori das Stalin-Denkmal aus der Innenstadt entfernen. Jetzt liegt es in einem Lager an der Peripherie.
2010 ließ die Stadtverwaltung von Gori das Stalin-Denkmal aus der Innenstadt entfernen. Jetzt liegt es in einem Lager an der Peripherie. © Jo Angerer | Jo Angerer

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schloss es – um kurze Zeit danach wieder zu öffnen. Dann kam 2008 der Südkaukasus-Krieg. Russland unterstützte die abtrünnigen, international nicht anerkannten Republiken Südossetien und Abchasien, russische Soldaten kämpften gegen Georgien.

In der Folge wollte der damalige georgische Kulturminister, Nikolos Watscheischwili, das Stalin-Museum in ein „Museum der russischen Aggression“ umwandeln. Einige Jahre lang hing ein Plakat über dem Eingang, dessen Aufschrift besagte, dass im Museum Geschichtsverfälschung betrieben werde. Das Plakat ist längst verschwunden. 2012 stimmte die Stadtverwaltung von Gori gegen eine Neugestaltung der Ausstellung.

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Im Museum selbst findet man in sechs Sälen zahlreiche Ausstellungsstücke aus Stalins Leben. Frühe Gedichte, Fotografien, zahlreiche Geschenke von anderen Staatsoberhäuptern, sogar zwölf seiner Totenmasken. Die Einrichtung seines früheren Büros kann man besichtigen und auch Stalins persönlichen Eisenbahnwaggon, gepanzert, 83 Tonnen schwer. Stalin-Verherrlichung pur. Lediglich in einem kleinen Nebenraum wird fast verschämt an Stalins Schreckensherrschaft erinnert.

Russland: In Putins Reich erlebt der Stalin-Kult eine Renaissance

Josef Stalin steht für Diktatur, Repression, die brutale Unterdrückung jeder Denk- und Meinungsfreiheit, brutale Säuberungen. Millionen Menschen starben in den Straflagern, den Gulags, in denen die Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten. Teile der Transsibirischen Eisenbahn wurden ebenso von Gefangenen erbaut wie der Weißmeer-Ostsee-Kanal. Viele Häftlinge starben an Hunger und Entkräftung. 300 Gramm Schwarzbrot und einen Teller Suppe gab es pro Tag – bei schwerster, körperlicher Arbeit. Vermeintliche und tatsächliche Gegner wurden verhaftet und in Schauprozessen abgeurteilt.

Georgien hadert mit seinem berüchtigten Sohn - doch es gibt auch immer noch Menschen, die wie hier in Tiflis ihre Verehrung für Stalin zeigen.
Georgien hadert mit seinem berüchtigten Sohn - doch es gibt auch immer noch Menschen, die wie hier in Tiflis ihre Verehrung für Stalin zeigen. © AFP | VANO SHLAMOV

Stalin steht aber auch für den Sieg über die Nazis im Zweiten Weltkrieg, der in Russland der „Große Vaterländische Krieg“ genannt wird. Jahr für Jahr wird dieser Sieg am 9. Mai mit einer großen Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau gefeiert. Und seit der „Spezialoperation“ in der Ukraine, die der Kreml auch weiterhin nicht Krieg nennt, hat Stalins Sieg eine ganz besondere Bedeutung. Schließlich ist das offizielle Narrativ für die Invasion die „Entnazifizierung“ der Ukraine.

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In Putins neuem Russland, einer Art Sowjetunion 2.0., spielt zunehmend auch der Stalin-Kult eine Rolle. Retro-Restaurants in Moskau haben Konjunktur. Zum Beispiel die Gaststätte „Sowjetische Zeit“ in der Moskauer Innenstadt. Das Lokal ist im Original Sowjet-Stil gehalten, an der Wand hängen Propagandaplakate und Fotos von Stalin bis Gorbatschow.

Georgien: Die Menschen tun sich schwer mit ihrer Vergangenheit

Eher Nostalgie. Doch in Russland werden auch neue Stalin-Denkmäler eingeweiht. Zum Beispiel in der Millionenstadt Wolgograd. Dort setzen sich Bürger dafür ein, dass die Stadt per Referendum in den alten Namen Stalingrad zurück getauft wird. Und der Bürgermeister verweist auf „gewisse Länder, die heute das Andenken an den großen Sieg der sowjetischen Armee tilgen wollen“. Dem würde man entgegentreten.

Das verfängt in Putins neuem Russland. Im georgischen Gori hingegen tun sich die Menschen schwer mit der Geschichte, mit dem Sohn ihrer Stadt. Das Museum abschaffen? Eher nicht. Schließlich verdient man Geld mit den vielen Touristen. Überall gib es Stalin-Souvenirs zu kaufen. Kleine Büsten und Sticker, sogar Stalin-Socken findet man im Sortiment.

Sowjet-Nostalgie in einem Land, das in die Europäische Union strebt? „Wir werden immer wieder gefragt hier, ob wir Stalin lieben“, sagt Ketewan Achobadse. „Das ist aber Unsinn, weil es nur darum geht, die Geschichte zu bewahren. Meine Familie und viele andere haben unvorstellbares Leid durch Stalins Politik erfahren.“

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