Erfurt. Trotz der eher kleinen Runde ist der Aufwand für die Regionalkonferenz der Regierungschefin und der Regierungschefs der ostdeutschen Länder beträchtlich. Bodo Ramelow bekommt seinen ersten Auftritt mit der Kanzlerin.
Es ist genau 16.15 Uhr, so, wie es der Zeitplan vorgibt. Draußen scheint die Frühlingssonne übers Fachwerk, drinnen, vor den Fernsehkameras, steht die Bundeskanzlerin und sagt, wie gerne sie doch „in diesen wunderbaren Ort Neudietendorf“ gekommen sei.
Neben Angela Merkel steht der ansässige Ministerpräsident. Gerade hat Bodo Ramelow, der ein bisschen aufgeregt wirkt, einen längeren, nicht ganz stringenten Vortrag darüber gehalten, dass einerseits vieles wunderbar sei, aber andererseits noch vieles im Argen läge.
Die Kanzlerin vermag da milde zuzustimmen, schafft es aber routiniert, nicht ansatzweise etwas Konkretes zu versprechen. Sie fühle sich, sagt sie allgemein, dem Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse verpflichtet – und präsentiert sich, was sie ja sonst eher selten tut, als Ostdeutsche. „Als Inhaberin eines Wahlkreises in Mecklenburg-Vorpommern kenne ich ziemlich gut auch die emotionale Befindlichkeit.“ Sie sagt das wirklich so: Inhaberin.
Aber so verhält sich das nun mal mit der westöstlichen Bund-Länder-Diplomatie, zumal die Kanzlerin der CDU angehört und der Ministerpräsident der Linken. Aber ist sie nicht auch evangelische Pastorentochter und er überzeugter Protestant? Und heißt der Raum, in dem sie stehen, nicht „Himmlisches Jerusalem“?
Mehrfach im Jahr in Berlin – nun in Neudietendorf
Jedenfalls ist alles sehr fromm – hier, in der evangelischen Tagungs- und Begegnungsstätte in Neudietendorf. Auf der zugehörigen Internet-Seite steht die Tageslosung, sie stammt aus dem zweiten Buch Mose, als sich das Meer gerade für das Volk Israels geteilt hatte: „Herr, wer ist dir gleich unter den Göttern?“
Das Zentrum ist nach Nikolaus Ludwig von Zinzendorf benannt, dem Gründer der Herrnhüter Brüdergemeine, einer mehr als 250 Jahre alten, protestantischen Reformbewegung. Mitte des 18. Jahrhunderts kauften Mitglieder ein altes Rittergut bei Dietendorf. Rasch wuchs die Gemeinde zu Neudietendorf, es wurden Chorhäuser gebaut, später auch ein Kirchsaal.
Heute ist im alten Schwesternhaus, das durch einen modernen Anbau ergänzt wurde, die Evangelische Kirche Mitteldeutschlands mit etlichen Bildungseinrichtungen untergekommen. Dort finden Gottesdienste, Feste und sonstige Veranstaltungen statt, zuweilen mit durchaus prominenter Beteiligung. Sogar ein leibhaftiger Bundespräsident, er hieß Horst Köhler, schaute mal kurz vorbei.
Nun, an diesem Mittwoch, findet hier laut offizieller Beamtensprachregelung die „46. Regionalkonferenz der Regierungschefin und der Regierungschefs der ostdeutschen Länder“ statt. Weniger formal betrachtet handelt es sich um die Ministerpräsidentenkonferenz, kurz MPK Ost. Wie bei der großen MPK, zu der alle Länderchefs kommen, treffen sich die östlichen Ministerpräsidenten mehrfach im Jahr in Berlin, aber eben auch im Land des jeweiligen Vorsitzenden – der in diesem Jahr Bodo Ramelow heißt.
Trotz der vergleichsweise kleinen Runde ist der Aufwand beträchtlich, wegen Merkel gilt die höchste Sicherheitsstufe. Einsatzwagen der Polizei stehen überall im Ort herum, ein Spürhund schnüffelt und das Zinzendorfhaus ist mit zwei Dutzend schwarzen Limousinen und Kleinbussen zugeparkt.
Dennoch ist die Stimmung entspannt. Die Landesregierungen haben arbeitsteilig verschiedene Beschlüsse vorbereitet, die schon am Abend zuvor von den Chefs der Staatskanzleien final abgestimmt wurden. Die Ministerpräsidenten müssen eigentlich nur noch alles abnicken.
Im Kern geht es darum, dass der Osten mehr Geld bekommt – oder doch zumindest nicht weniger. Die Liste ist lang. So soll der Bund die von der DDR hinterlassenen Sonderrenten und ökologischen Altlasten übernehmen. Zudem wird ein Strukturhilfefonds für den in diesem Jahr auslaufenden Solidarpakt II verlangt und ein Ausgleich für die demnächst schrumpfenden Zuschüsse aus Brüssel.
Angela Merkel bei Ostministerpräsidenten-Konferenz in Thüringen
Wie immer sitzt auch der Ost-Beauftragte der Bundesregierung bei den Beratungen dabei. Seit gut einem Jahr ist das der thüringische CDU-Bundestagsabgeordnete Christian Hirte. Er wiederholt nochmals seine Forderung, mehr Bundesbehörden im Osten anzusiedeln – und zwar nicht in den Ballungszentren, sondern in der Fläche.
Überhaupt geht es viel um den ländlichen Raum, der ja im Osten raumgreifend vorhanden ist. Als sich nach dem Mittagessen die Regierungschefs für die Kameras vor dem Zinzendorfhaus aufstellen, dauert es keine zwei Minuten, bis Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) wieder einmal über die neueste Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle schimpft.
Angela Merkel landete am Flughafen Erfurt-Weimar
Die Wissenschaftler hatten jüngst gefordert, die Fördergelder in den nächsten Jahren stärker auf die größeren Städte im Osten zu konzentrieren. Nur so, argumentierten sie, ließe sich bei der Wirtschaftskraft zum Westen aufschließen. Haseloff hält das für Unsinn und zitiert das Grundgesetz, laut dem gleichwertige Verhältnisse in ganz Deutschland herzustellen seien.
Der Himmel hängt recht grau über den Ministerpräsidenten, am Morgen hat es geschauert. Aber die Luft ist frühlingswarm und die Regierungschefs, zu der ja mit Manuela Schwesig (SPD) aus Mecklenburg-Vorpommern auch eine Regierungschefin gehört, spazieren frohgemut um das Haus herum, machen Selfies mit der Bevölkerung und lassen sich von Pfarrer Christian Thiele den Friedhof zeigen.
Plötzlich, kurz vor 15 Uhr, scheint die Sonne. Die Bundeskanzlerin ist mit dem Flieger in Erfurt gelandet, hat sich die wenigen Kilometer nach Neudietendorf fahren lassen und wird nun von Ramelow in den Garten hinter dem Zinzendorfhaus geführt. Die Ministerpräsidenten nehmen Angela Merkel in ihre Mitte, ihr roter Blazer korrespondiert hervorragend mit dem roten Kleid von Manuela Schwesig, die neben ihr steht, derweil die Männer in schwarzen, grauen und dunkelblauen Anzügen den Rahmen bilden.
Das folgende Gespräch mit der Ministerpräsidentenkonferenz dauert nur eine Stunde, dann beginnt schon die Pressekonferenz. Im Raum „Himmlisches Jerusalem“ stehen vor einer blauen Wand zwei blaue Pulte und die Fahnen von Deutschland und Thüringen.
Bisher vermied die Kanzlerin Auftritte mit Bodo Ramelow
Merkel und Ramelow haben sich schon oft getroffen, bei diversen Ministerpräsidentenrunden. Einen gemeinsamen bilateralen Auftritt mit dem einzigen linken Regierungschef der Republik konnte die Kanzlerin aber bisher immer vermeiden. Einladungen zum Thüringer Sommerfest in Berlin lehnte sie stets aus Termingründen ab. Auch wenn sie in Erfurt, Weimar oder Jena auftrat, war entweder Ramelow nicht dabei oder nur einer von mehreren politischen Begleitern.
Nun, ein halbes Jahr vor der Landtagswahl in Thüringen, stehen sie, Merkel und Ramelow, Seit’ an Seit’ und nicken, während der andere redet. Es geht noch einmal um die EU-Hilfen, die Sonderrenten und die Bundesbehörden. Der Linke bemüht sich erkennbar, nicht zu aggressiv aufzutreten. „Wir haben uns nicht verständigt über Geld“, sagt er zum Beispiel sanft. „Die Erwartung hatte ich aber auch nicht.“
Merkel nimmt dies freundlich zur Kenntnis und sagt noch, als sie dazu gefragt wird, etwas zum Brexit. Dann sind die 15 Kanzlerinminuten von Bodo Ramelow auch schon vorbei.
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Leitartikel: Ostdeutschland als Modellregion
Martin Debes