Jan Hollitzer über die Wahl des Ministerpräsidenten.

Thomas Kemmerich wollte als Kandidat der Mitte ein Zeichen setzen. Ausgelöst hat er ein politisches Beben. In Thüringen. Und in ganz Deutschland.

Die AfD hat erstmals einem Ministerpräsidenten in der Bundesrepublik ins Amt verholfen. Trotz Unvereinbarkeitsbeschlüssen bei FDP und CDU wurde ganz bewusst in Kauf genommen, dass die Ablösung des bis gestern Mittag amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow nur mit Stimmen der AfD gelingen kann.

Es mutet recht scheinheilig an, wie Thomas Kemmerich nach seiner Wahl betont, er sei Anti-AfD und Anti-Höcke. Denn ein paar Minuten zuvor nahm er die Wahl an, die er hätte ablehnen müssen, wenn diese Worte substanziellen Charakter hätten. Scheinbar waren aber alle Mittel und Tabubrüche recht, um politische Ziele zu erreichen. Dies ist ein herber Rückschlag für das Vertrauen der Menschen in die parlamentarische Demokratie.

Auch die Überraschtheit bei Kemmerich ist angesichts der vor dem dritten Wahlgang doch mehr als offensichtlich gewordenen Finte der AfD nicht glaubwürdig. Daran ändert auch nichts, dass er keine Rede vorbereitet hatte und keine Minister benennen konnte. Taktik?

Fest steht, dass das Risiko eingegangen wurde, dass die AfD ihren Kandidaten fallen lässt und geschlossen für Kemmerich stimmt – auch von der CDU, die sich hätte enthalten oder einen eigenen Kandidaten stellen können, um einen Ministerpräsidenten zu Gnaden der AfD zu verhindern.

Danach zu behaupten, es seien geheime Wahlen und man wisse ja nicht, wer wen wählt, ist Verrat an den Wählern der CDU und FDP.

Einen ersten Vorgeschmack auf mögliche neue Mehrheitsverhältnisse gab es bereits nach der kurzen Ansprache des neuen Ministerpräsidenten. Dem Antrag Kemmerichs auf Vertagung der 7. Plenarsitzung stimmten CDU, FDP und AfD zu. Ob er die Stimmen wollte oder nicht? Egal. Der Antrag ging durch.

Dennoch steht Thüringen vor der Unregierbarkeit. SPD und Grüne haben jegliche Zusammenarbeit mit CDU und FDP ausgeschlossen.

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