Stadtilm. Horst Wessel fährt kurz nach dem Mauerfall 1989 nach Tübingen und erlebt eine Odyssee. Auf der Autobahn muss er den Motor austauschen. Es soll nicht die einzige Panne bleiben.

Am Abend vor einer Abreise vollführen Autobesitzer heutzutage häufig ein Ritual, das auf einem Höchstmaß an Überzeugung beruht, dann aber meist laienhaft umgesetzt wird. Der obligatorische Pkw-Check. Da wird der Reifendruck an ein Pi mal Daumen errechnetes Verhältnis von Fahrzeugbeladung und Außentemperatur angepasst, das Motoröl gemessen und gegebenenfalls gefüllt und das Spritzwasser mit einem Schuss Frostschutzmittel verdünnt. Erst danach darf das Gefährt mit allerlei Krimskrams beladen werden. Für die wirklich wichtigen Dinge, wie den Reserve-Motor, ist dann oft kein Platz mehr.

Zugegeben, es war eine andere Zeit, als Horst Wessel und seine Frau Gertrud ihren Wartburg vor 30 Jahren in Stadtilm für die erste Fahrt in den Westen präparierten. Es war erst kurz nach dem Mauerfall, am 22. Dezember 1989, und der 80. Geburtstag eines Verwandten in Tübingen stand bevor. Auf dem Weg nach Baden-Württemberg sollte Schwester Gretel bei Koblenz abgeholt werden. Die Fahrt sollte eine Odyssee werden, die Horst Wessel nie vergisst.

90-Liter Zusatztank für Non-Stop-Fahrt

„Als wir an dem Morgen in den Wartburg stiegen, regnete es in Strömen“, erinnert sich Horst Wessel. „Wir hatten Respekt. Im Osten kannten wir uns aus, im Westen war das anders.“

Nicht nur deswegen wurden im Vorfeld einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen. „Dazu gehörte eine gründliche Durchsicht des Wagens mit Zündkerzenwechsel, Unterbrecher frisch schmieren und Verschleißersatzteile, sowie Werkzeug bunkern“, sagt Horst Wessel. „Und weil dies eine besondere Fahrt war und wir ja nur die DDR-Mark als Zahlung hatten, habe ich einen 90-Liter Zusatztank in den Wartburg eingebaut.“ Nun war genug Kraftstoff für die komplette Fahrt an Bord. Doch sollte das bei Weitem nicht das einzige Problem sein.

Horst Wessel kennt sich mit Autos aus. Zu DDR-Zeiten hat er drei Jahre bei Simson in Suhl gearbeitet, später im Gelenkwellenwerk in Stadtilm. Heute sammelt der Rentner Oldtimer. In seiner Garage in Ettischleben thront ein aufgebockter Trabant neben der Eingangstür . Ein 601er – letzte Generation.

„Unvorbereitet ist kein DDR-Bürger in den Urlaub gefahren“, sagt Horst Wessel und streicht über den Oldtimer, den roten 77er Wartburg mit drei Zylinder Zwei-Takt-Motor und 50 PS, mit dem er einst diese Odyssee erlebt hat. Ob das Auto heute noch fahrtüchtig sei? „Natürlich, den könnte ich morgen zum Fahren bringen“, sagt Horst Wessel.

30 Jahre zuvor: „Unser Wartburg summte wie ein Bienchen“, sagt Horst Wessel. Die innerdeutsche Grenze hatten der rote Flitzer und seine beiden Insassen passiert, als in der Nähe von Gießen der Motor stockte. Ohne Vorwarnung gab er ein kreischendes Geräusch von sich. „Der Motor machte diese Mätzchen zum Glück vor einer Autobahnbrücke, unter die wir rollten und so vor dem starken Regen geschützt waren“, erinnert sich der Fahrer. Unter der Brücke wurde der Motor untersucht. „Die Hoffnung, dass es nur ein Kolbenklemmer sei, musste ich dann aufgeben. Ein Motorwechsel auf der Autobahn war angesagt. Aber DDR-Kraftfahrer ließen sich durch solche Vorkommnisse nicht erschüttern“, sagt Horst Wessel Den Reservemotor hatte er zuvor bei einer Fahrt nach Friesland nicht benötigt, darum befand er sich noch im Kofferraum. Also ging er es an. „Ich war mitten überm Ausbau, als ein ADAC-Hilfsfahrzeug hinter uns hielt. Es folgte eine erste Ermahnung und Verwarnung. Parken auf der Autobahn sei verboten“, erinnert der Mann mit dem roten Wartburg. „Ich zuckte mit den Schultern und erklärte: Motorschaden.“

Zur Verwunderung des Pannenhelfers habe er zu diesem Zeitpunkt aber schon alle Anschlüsse richtig gelöst gehabt und spätestens beim Anblick des Reservemotors sei die Skepsis des ADAC-Helfers gebrochen. „Von da an war er echt bemüht.“ Bald war das Wichtigste geschafft, der Pannen-Bericht ausgefüllt.

Die Fahrt konnte weiter gehen. Zumindest für einige Kilometer. „Plötzlich war der Innenraum voll mit heißem Wasserdampf“, erzählt Horst Wessel. Nach einigen Kilometern Fahrt bei offenem Fenster erreichten die Abenteurer im Wagen einen Rastplatz. „Als Ursache stellte sich eine Schlampigkeit der Reparatur heraus. Kühlwasserverlust und ein überhitzter Motor waren die Folge“, sagt Horst Wessel. Aber auch das wurde kurzerhand repariert.

Dann wurde es Abend und mit der Dunkelheit kam die nächste Hürde. Die Ladeleuchte ging an. „Und nun?“, überlegte Horst Wessel. „Um Strom zu sparen fuhr ich mit Standlicht weiter und machte den Scheibenwischer nur manchmal an“, sagt Horst Wessel. Bei Starkregen eine nervenaufreibende Sache. So fuhren sie hinter einem LKW her, bis zur nächsten Tankstelle. Ein kurzer Eingriff in das Innenleben des Wartburg und auch dieser Schaden war behoben. Das Auto fuhr: hin und zurück.