Ilm-Kreis. Aus dem Tagebuch der Margarethe Behr – Februar und März 1945.

1945 endete der Zweite Weltkrieg. Margarethe Behr, die Frau des damaligen Marienstiftdirektors, führte in jener Zeit emsig Tagebuch. Ihr Sohn Friedemann Behr gab Auszüge zur Veröffentlichung frei, die ein Stück Zeitgeschichte widerspiegeln.

10. Februar: Vier Tage nach Einsturz des Kinderheims werden nun auch die Leichen von Oberschwester und Küchenleiterin geboren. Sie waren nach Aussage der Ärzte sofort tot und mussten nicht leiden. Im Marienstift und in der Krappgartenstraße gibt es endlich wieder Strom, so kann in der Klinik operiert werden. Stück um Stück bekommen die Fenster wieder Glas. Vier Tage nach dem Angriff gibt es am Bahnhof und in der Samenhandlung Gärtnerei Pötzschke immer noch Brandnester, alles ist verraucht. Wegen dringender Frühjahrsbestellung waren 20 junge Frauen im Betrieb damit beschäftigt, Sämereien einzutüten, deswegen waren sie nicht im Keller und sind nach einem Volltreffer alle verbrannt und schwer zu identifizieren.

11. Februar: Die Beisetzungsfeierlichkeiten für die über 80 Bombenopfer werden von der Partei für eine große Propagandaveranstaltung missbraucht. Mit fanatischen Durchhalteparolen, obwohl sowieso alles verloren ist. Um 9 Uhr schrie der Kreisleiter Mütze auf dem Markt, „Der Endsieg ist unser!“ Dann marschierten Partei, SA, SS, die Hitlerjugend zum Friedhof, um im Massengrab, gleich neben der Kapelle, die Verstorbenen wegen ihres Heldentodes mit militärischen Ehren beizusetzen. Der Heldentod war für die Opfer und ihre Angehörigen wenig tröstlich.

18. Februar: Um 21 Uhr Sirenen für zwei Stunden, nachts wieder von 1 bis 2 Uhr, und halb drei bis halb sechs. Dreimalige Alarmnacht, die Leute am Ende ihrer Kraft, zu spät zur Arbeit, die Behörden öffnen erst mittags, und da schon wieder Alarm. Seit dem verlustreichen Bombenangriff auf Arnstadt rennen jetzt alle verängstigt in die Luftschutzräume, in der Nacht aus dem warmen Bett in die eiskalten Keller, alle übermüdet und stark erkältet.

22. Februar: Das Marienstift hat jetzt nach 14 Tagen endlich Handwerker, um die Bombenschäden an den verschiedenen Häusern zu reparieren. Schnee und Frost drangen ein. Die Arnstädter trauen ihren Augen nicht: Mittags Kosaken durch die Stadt, asiatische Typen mit altmodischen Gewehren und Säbeln, abgemagerte Pferde, sie sollen Deutschland siegen helfen. Wer glaubt schon sowas? Das Gegenteil ist der Fall, sie sind Vorboten des Untergangs. Auf dem Bahnhof in Haarhausen wurden wieder zwei Züge beschossen, die sich dort kreuzten. Viele Verwundete ins Krankenhaus nach Arnstadt.

28. Februar: Schneetreiben und eisige Luft, die Behörden kalt, die Schulen sind sowieso geschlossen, die Leute in ihren Wohnungen haben nichts mehr zum Verheizen. Auf dem Wirtschaftsamt große Erregung, Tumulte, da es weder für Holz noch für Kohlen Bezugsscheine gibt. Lebensmittelrationen erneut gekürzt. Das Gespenst des Hungers steht jetzt jedem nahe vor Augen, Tiefflieger beschießen mit Bordwaffen unsere ganze Umgebung. Es brannte auch schon an etlichen Stellen. Der beliebte und bekannte Studienrat Dr. Stück vom Kupferrasen ist gefallen, jetzt auch sein ältester Sohn, der zweite gefangen, der dritte vermisst. Das Schicksal so vieler Familien.

1. März: Professor Frosch musste vor einer OP weg, um mit Prof. Joerns und Oberstabsarzt Dr. Voigt an der so genannten „Auskämm-Kommission“ in den Lazaretten teilzunehmen, vor der die Ärzte immer große Angst haben, weil ihnen vorgeworfen wird, die Verwundeten zu lange in der Klinik zu behalten, anstatt sie vorzeitig und nicht ganz ausgeheilt zu entlassen, um sie sofort zurück zum Fronteinsatz zu schicken. Die ständige Anwesenheit der feindlichen Jäger beunruhigt die Arnstädter sehr. Was ist ihre Aufgabe? Täglich am Himmel über uns mit ihrer tödlichen Fracht. Was beabsichtigen sie, was geht da im Jonastal vor sich? In der Fürst-Günther-Schule ist jetzt das Berliner Verkehrsministerium, auch der Thüringer Wald füllt sich mit Reichsbehörden, mit ihren Akten und Angestellten. In Friedrichsroda, Oberhof usf. werden alle Ferienhäuser für sie beschlagnahmt. Thüringen, als Mitte Deutschlands, soll letztes Bollwerk im Entscheidungskampf werden.

Professor Frosch wird als „verdienter Arzt des Volkes“ bezeichnet und war der erste Chefarzt der Anstalt.
Professor Frosch wird als „verdienter Arzt des Volkes“ bezeichnet und war der erste Chefarzt der Anstalt. © Marienstift Arnstadt

30. März, Karfreitag: Luftkämpfe über dem Jonastal, den ganzen Nachmittag rollte es wie Donner. Wir denken: amerikanische Artillerie. Matthäuspassion in der Bachkirche. Leichter Regen, dazwischen ein Bild des Krieges, wie wir es hier in unserer Stadt noch nicht gesehen haben. Über die Plauesche Straße, also von Südwest her, sind deutsche Soldaten auf der Flucht mit Lastkraftwagen. Die Amerikaner wären hinter ihnen her. Am Nachmittag standen sie überall in den Nebenstraßen, getarnt, wegen der Tiefflieger. Jetzt, bei Dunkelheit, fahren sie weiter, das Motorengeräusch reißt gar nicht ab. Früh zogen entgegengesetzt viele Pferdewagen mit militärischer Bewachung, vielleicht Volkssturmeinheiten. Das alles macht einen verheerenden Eindruck, wir packen das Nötigste zusammen.

31. März, Sonnabend vor Ostern: Ein Tag voller Kriegslärm, früh gegen 5 Uhr begannen die abgestellten Militärfahrzeuge wieder abzufahren. Ab 7 Uhr der erste Alarm, viele weitere folgten, bis in den späten Abend. Stets Tiefflieger und Schießerei ganz nahe. Trotzdem, alle Hausfrauen und ich und die Kinder strömten in die Geschäfte, die Fleischerläden hatten auf. Davor in den Straßen dicke Schlangen, auch andere Geschäfte haben geöffnet. Was noch auf Lager ist, soll verkauft werden, damit die Feinde keine Bestände vorfinden. Das Brot war aber schon alle und noch nicht wieder fertig.