Mühlhausen. Neben Alexander von Humboldt feiert auch Mühlhausens berühmter Weltreisender Wilhelm Gottlieb Tilesius seinen 250. Geburtstag

Wilhelm Gottlieb Tilesius kam im selben Jahr 1769 zur Welt, wie Alexander von Humboldt, mit dem 17. Juli noch über zwei Monate früher. Beide wuchsen unter günstigen Bedingungen auf, beide machten sich als Naturforscher einen Namen, doch nahmen ihre Karrieren einen verschiedenen Verlauf.

Von Humboldts Vorfahren waren verdiente preußische Beamte und Offiziere, der Vater königlicher Kammerherr. Tilesius entstammte einem alten schlesischen Adelsgeschlecht. Sein Vorfahr Hieronymus von Tilenau kam im 16. Jahrhundert nach Mühlhausen und wurde als der Reformator Mühlhausens bekannt.

Auf Umwegen zur Naturkunde

Wilhelm Gottliebs Vater hatte als Aktuar die juristische Vertretung im städtischen Almosenamt inne. Während Humboldt im Schloss zu Berlin-Tegel, dem Humboldtschen Stammsitz, von Privatlehrern unterrichtet wurde, ermöglichten Tilesius‘ Eltern ihrem Sohn den Besuch des Mühlhäuser Gymnasiums.

Humboldt und Tilesius interessierten sich beide als Jugendliche schon für die Natur. Beide waren auch talentierte Zeichner und bauten diese Fertigkeiten durch Zeichenunterricht aus. Sie studierten jedoch nach der Schulzeit beide keine Naturkunde. Humboldt kam nach dem Studium der Kameralwissenschaften zunächst als Staatsdiener im Bergamt zu Freiberg unter. Tilesius wurde Arzt.

Sie verloren ihren Hang zur Naturkunde jedoch nicht, schwärmten von Reisen durch die Welt und von der Erkundung ferner Länder. Mit dem Erbe der Mutter finanzierte sich Humboldt schließlich die für seine weitere Entwicklung wichtige Reise nach Süd- und Mittelamerika. Tilesius‘ Zeichentalent machte ihn zunächst zum optimalen Begleiter des Naturforschers Johann Centurius von Hoffmannsegg auf dessen Reise nach Portugal. Von dort brachte Tilesius viele Zeichnungen mit, auch erste wissenschaftliche Ergebnisse und ein gesteigertes Interesse für Meereslebewesen.

Sein guter Ruf eilte ihm danach auf der Suche nach einer Anstellung voraus. 1801 wurde er zunächst Kurator an der Universität Moskau. Doch da damals gerade die Schiffsreise einer russischen Handelsdelegation nach Japan geplant war, nutzte er diese Gelegenheit und schloss sich ihr als Schiffsarzt an. Der Posten des die Reise begleitenden Naturforschers hätte ihn mehr gereizt, dieser war aber bereits vergeben.

Die Reise führte Tilesius an Bord des von Admiral Adam Johann von Krusenstern befehligten Flaggschiffs Nadeshda über Brasilien, Cap Hoorn, Polynesien, Nordamerika nach Japan und von dort über Afrika nach Europa zurück. Sie ging als erste russische Weltumsegelung in die Geschichte ein und verhalf Tilesius zu Ruhm und Ehre.

Nachdem der Expeditionsmaler Kurljandzef durch Krankheit ausgefallen war und der Naturforscher Georg Heinrich von Langsdorff früher von Bord ging, übernahm der Schiffsarzt Tilesius deren Posten. Mit Akribie machte er sich daran, die für Russland neu erforschten und vermessenen Gebiete im fernen Osten in Zeichnungen und Kupferstiche umzusetzen.

Endlich besaß er auch die Möglichkeit, eigenen Interessen nachzugehen und machte sich an die Beschreibung der von ihm in der neuen Welt vorgefundenen unbekannten Kreaturen. Eine realistische Beschreibung des Orang Utans entstand ebenso wie Zeichnungen neuer Meerestiere, darunter eine Meduse, ein Kormoran und eine Königs-Seekrabbe.

Neben dem ausführlichen Reisetagebuch sind bis heute über 200 Zeichnungen und Grafiken von Tilesius erhalten geblieben, die jetzt in der Kustodie der Universität Leipzig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Sie dienten 1806 nach dem erfolgreichen Ende der Weltumsegelung auch der Illustration des von Krusenstern verfassten Reiseberichtes und Atlas.

Eine Fortsetzung fand Tilesius‘ Tätigkeit in Russland jedoch nicht. Ausgestattet mit einer lebenslangen Pension von 300 Dukaten jährlich, das entspricht umgerechnet 37.800 Euro nach dem Goldpreis von heute, dekoriert mit dem Wladimir-Orden und als Ritter des russischen Staates und der französischen Ehrenlegion entließ ihn Zar Alexander I. aus seinen Diensten als kaiserlicher Hofrat.

Die unglückliche Ehe mit seiner 20 Jahre jüngeren Frau Olympia Clementine, die sich in die Arme eines Liebhabers geflüchtet hatte, warf ihn 1814 quasi in die Mühlhäuser Heimat zurück. In seiner Mutter fand er dort einen Anlaufpunkt und einen wichtigen Beistand in der Erziehung seines Sohnes Adolph, der er sich nun mit ganzem Herzen angenommen hatte. Sie ermöglichte ihm, als Privatdozent in Göttingen und als niedergelassener Arzt in Leipzig weiter zu arbeiten. Auch seine Liebe zum Zeichnen kam ihm nicht abhanden. Er zeichnete vor allem Landschaften und Begebenheiten in Mühlhausen und Umgebung und illustrierte eine Chronik seines Onkels.

Mit dem Alter, als er immer gebrechlicher wurde und fast erblindete, blieb ihm zum Leben noch seine Pension. Er starb am 17. Mai 1857 in seiner Heimatstadt. Zwei Jahre älter wurde Humboldt. Obwohl sich dieser ein Netz aus Naturforschern aufgebaut hatte, lernten sich Tilesius und er nie persönlich kennen. Auch Briefkontakte sind nicht bekannt. Während Humboldt kinderlos blieb, lebte Wilhelm Gottlieb Tilesius in seinem Sohn Adolf weiter. Das Grab des kaiserlichen Hofrats in Sankt Petersburg wurde unlängst durch Spenden von Mühlhäuser Bürgern restauriert. Nach ihm ist auch die Mühlhäuser Tilesiusstraße benannt, während der Vater Wilhelm Gottlieb Tilesius zu Tilenau im Namen des Tilesius-Gymnasiums verewigt ist.

Seine Tilesius-Straße „erhielt“ er aber 2002 in Mühlhausens Partnerstadt Kronstadt. Von dort nahm Russlands erste Weltumsegelung 1803 ihren Anfang.