Wort zum Sonntag: Pastorin Jutta Sander über das Aussöhnen mit einem unausweichlichem Schicksal

Wie kann es weitergehen? Das fragt sich die 77-jährige Hildegard. Sie sitzt an dem kleinen Tisch in ihrem Krankenzimmer und blickt aus dem Fenster. Draußen hat der Wind graue Wolken vor sich hergetrieben, und nun peitscht der Regen an die Scheibe. Hildegard fröstelt. Sie schließt das Fenster. Gerade war die Ärztin bei ihr. Sie hat ihr gesagt, was los ist.

Nach fast 14 Jahren hat sie die Krankheit wieder. Sie können noch nicht sagen, wie viel befallen ist. Leber, Lunge, welche Organe außerdem? Das werden Untersuchungen feststellen. Aber keine Chemo mehr. Das klingt für sie, als ob man sie aufgegeben hat.

Hildegard will auch nicht mehr. Es ist alles zu viel. Und nun ist sie nicht mehr allein. Da ist eine von der Seelsorge, die hört zu.

Sie kann ihr nicht helfen. Denn sie selbst weiß, dass es nun auf das Sterben zugeht.

Der Blick der Ärztin hat ihr das verraten. „Darf ich Sie segnen?“ Hildegard hört diese Frage nur mit halbem Ohr. Ja gut, soll sie sie segnen. Der Segen ist immer der Schluss, dann kann sie wieder allein ihren Gedanken nachhängen.

Hildegard nickt. Sie spürt eine weiche warme Hand auf ihrem Kopf. „Der Herr segne dich und behüte dich.“ Hildegard denkt an den jungen Hund und die beiden Katzen, die sie auf ihrem Grundstück füttert. Wer wird sie behüten, wenn sie krank ist?

Ihr Mann ist im vergangenen Jahr verstorben. Vielleicht wird es die Nachbarin tun. Oder ihr Sohn, wenn er an den Wochenenden kommt. Sie würde so gerne den Hund noch aufwachsen sehen…

„Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.“ Gnade wünscht sich Hildegard. Kein langes Sterben unter Schmerzen. Die Gnade, gehen zu dürfen in Würde.

So gesund hat sie gelebt in den letzten 14 Jahren und nun diese Krankheit, zum zweiten Mal. Sie wünscht sich ein bisschen mehr Gnade Gottes. Keine Schmerzen, noch eine Weile Leben in ihrem Häuschen mit dem Garten, unter der Kastanie sitzen, die Katzen streicheln. „Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.“

Gott sieht mich, er will mir Frieden geben. Hildegard spürt die Finger der Seelsorgerin, die ein Kreuz auf ihre Stirn zeichnen. Nach Frieden sehnt sie sich so sehr, sich aussöhnen mit dem Schicksal, dass sie sterben muss. Im Zeichen des Kreuzes spürt sie: Damit bin ich nicht allein. Auch er hat mit Gott gehadert, dass er leiden musste und sterben. Doch er lebt. Diesen Glauben hat ihr ihre Mutter vorgelebt. Und auch ihr Mann hat dran geglaubt. Sie weiß es, sie hat mit ihm gebetet, als es so weit war. Es wird weitergehen. Sie wird auch das noch schaffen, was jetzt kommen wird. Hildegard spürt es in all ihrem Leid. Ein warmer Mantel legt sich um ihre Seele. Ich bin mit Unglück vollgestopft, denkt sie, aber Gottes Segen hat dennoch Raum. Gott ist für uns da. Er umarmt das Schöne und das Hässliche, das Liebenswerte und das Traurige. Wo wir ihn in seine Nähe kommen lassen, da geschieht Heil.

Die Autorin Jutta Sander ist Pastorin im evangelisches Pfarramt Marksuhl-Eckardtshausen.