Schönau. Heimatgeschichten Unsere Zeitung stellt Museen oder Heimatstuben der Region vor, heute das Hörselbergmuseum

„Habt ihr die Wundersagen vom Hörselberg gehört, aus dem das tolle Jagen des wilden Heeres fährt?“

Mit Versen wie diesem und seiner Sammlung uralter Sagen traf Ludwig Bechstein vor fast 200 Jahren den Nerv einer „romantischen“ Zeit. Die Mär von Frau Holda und ihrem satanischen Gefolge erzeugte bei den Zuhörern wohlige Schauer. Und der war im hiesigen Tal umso größer, als der unheimliche Ort direkt vor der Haustür lag. In den zerklüfteten Felsspalten des damals kahlen „Hör-Seelen-Berges“ meinte man die verdammten Seelen Verstorbener klagen zu hören, wähnte im Innern Hölle und Fegefeuer oder – je nachdem – auch die Heimstatt der ruchlos schönen Venus, die den edlen Ritter Tannhäuser verführte.

Kaum eine Region ist so reich an Mythen wie die Hörselberge. Kein Wunder also, dass sich von dieser Landschaft Dichter und Maler inspirieren ließen, dass Richard Wagner die vorgefundenen Stoffe aufsog und zur allseits bekannten Oper verdichtete.

Das zaghaft im Ausstellungsraum platzierte Warnschild „Geschichte fügt Ihnen erhebliche Denkanstöße zu!“ kommt zu spät: Literatur und Musik haben in dem kleinen Museum von Schönau den Besucher längst für sich eingenommen.

Das historische Ensemble des einstigen Pfarrhofs mit Stall, Scheune, Schulhaus und Kirchlein liegt direkt an der durchs Dorf führenden Bundesstraße 88. Bewacht wird es – weithin sichtbar – vom „Hörsel-Karl“, einer imposanten Skulptur, die Förster Karl Bodenstein aus der an dieser Stelle altersschwach gewordenen Kastanie zauberte. Ein echter Hingucker!

Was vorzüglich gedeiht, ist Brunnenkresse

Doch dabei sollte es sich nicht bewenden lassen, wer tiefere Einblicke in die regionale Kultur, Geologie, Flora und Fauna der Gegend haben will. Schnell wird klar, dass gerade die geologischen Besonderheiten des Muschelkalk-Buntsandstein-Massivs zwischen Hörsel und dem rund sieben Meter tiefer gelegenen Bett der Nesse tüchtig zur Mythenbildung beitrugen: das durch Felsöffnungen verursachte Ächzen des Windes, Hörselwasser, das in „Schlucklöchern“ versickert, um nach unterirdischen Fließwegen durchs Karstgestein an der Nordflanke wieder hervorzuquellen; geheimnisvolle Höhlen, von denen die Venus- und die größere Tannhäu-serhöhle am bekanntesten sind; oder die markanten, bis zu 480 Meter hohen Steilstufen.

Ganz und gar entrissen hat man dem Berg seine Geheimnisse allerdings nie, denn für Wanderer sind die Höhlen kaum begehbar und zudem Quartier für viele Fledermausarten. Wohlfühlen sich auf dem felsigen Terrain des Weiteren Feuersalamander, seltene Schmetterlinge und Vögel, zauberhafte Orchideen und Silberdisteln. Und sogar Weinanbau betrieb man, bis eiskalte Winter und die Reblaus kamen. Was dank des gleichbleibend temperierten Wasser der Nesse vorzüglich gedeiht, ist die Brunnenkresse, die dann in manchem Nobelrestaurant die Karte ziert.

Und an heimische Spezialitäten denkt man schließlich auch angesichts der Backstube, deren Gerät dem Handwerk in der guten alten Zeit zu entstammen scheint. „Die gesamte Hofsituation bewahrt etwas vom früheren Dorfalltag“, sagt Anna Binde, „und zu besonderen Anlässen treten auch die ‚Schönauer Backfrauen‘ in Aktion und verwöhnen die Gäste mit Traditionsrezepten.“

Gern erzählt die Museologin, wie sich die zuvor maroden Gebäude seit Mitte der 1990er-Jahre zu echten Schmuckstücken mauserten und wie dann das heutige Museum eingerichtet wurde. Finanziert wird die Einrichtung von der Gemeinde Wutha-Farnroda, die auf ihre regionaltypischen Schätze stolz genug war, um sie auch würdig zu präsentieren. Zur aktuellen Sonderausstellung lohnt es auf jeden Fall, bis unters Dach zu klettern. Mit Fotos, Zeitungsartikeln, Amtsblättern und Exponaten aus privater Hand gedenkt sie des diesjährigen Jubiläums „30 Jahre Mauerfall“ und erinnert an viele Ereignisse, die ohne solche Dokumentationen wahrscheinlich in Vergessenheit geraten würden, wie einer der letzten Gästebuch-Einträge dankbar lobend vermerkt.

Schönau ist also nicht nur ein „Straßendorf“ zum Durchfahren, sondern durchaus imstande, ein kulturell anspruchsvolles und unterhaltsames Nachmittagsprogramm zu bieten.