Bad Langensalzas Bürgermeister zur geplanten zweiten Protest-Demo: „Ich lasse mir nicht den Mund verbieten“

Alexander Volkmann und Chiara Leister
| Lesedauer: 6 Minuten
Bad Langensalzas Bürgermeister Matthias Reinz im Park am Friederikenschlösschen. Zu seiner zweiten Kundgebung lädt er nun als Privatperson.

Bad Langensalzas Bürgermeister Matthias Reinz im Park am Friederikenschlösschen. Zu seiner zweiten Kundgebung lädt er nun als Privatperson.

Foto: Alexander Volkmann

Bad Langensalza.  Matthias Reinz hat die zweite Protestkundgebung gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung angemeldet – dieses Mal aber nicht als Bürgermeister von Bad Langensalza. Und: Er will sich von keiner Partei instrumentalisieren lassen. Ein Gespräch.

Rund 1000 Teilnehmer nahmen Mitte September an der ersten Kundgebung von Bad Langensalzas Bürgermeister gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung teil. Nun ruft Matthias Reinz (parteilos) erneut zum Protest auf. Im Interview erklärt er seine Absichten und seine Haltung zu extremen Tendenzen.

Diesmal laden Sie nicht mehr als Bürgermeister ein. Warum?

Weil die Kommunalaufsicht nach der ersten Kundgebung gesagt hat, das geht so nicht. Das dürfe laut Kommunalordnung nicht sein. Deshalb mache ich das jetzt als Privatperson. Mit der gleichen Intention wie bei der ersten Kundgebung. Ich lasse mir nicht den Mund verbieten.

Die Menschen werden aber keinen Unterschied machen, oder?

Bürgerinnen und Bürger können nicht zwischen dem Bürgermeister und der Privatperson Matthias Reinz unterscheiden. Ich habe meine Meinung und die will ich frei äußern dürfen. Das ist ein Grundrecht, das ich in Anspruch nehme. Ich werde mich zur Energiepolitik der Bundesregierung äußern und zur Kommunalpolitik.

Als Bürgermeister sind Sie verantwortlich, den sozialen Frieden in der Stadt zu wahren. Wiegeln Sie mit dem Protest nicht auf?

Ich kann doch nicht zugucken, wenn in Berlin Entscheidungen getroffen werden, die für die Menschen gravierende Folgen haben. Den Leuten eine hoffnungsvolle Zukunft zu vermitteln, wäre falsch. Ich stehe mit vielen Menschen in Kontakt. Da sind Probleme, Sorgen und Ängste. Ich kann nicht sagen, wir schaffen das alles. Ich fordere in meinen Reden auch nicht zum Rücktritt der Bundesregierung auf. Ich mache aufmerksam auf Fehlentwicklungen – sodass Entscheidungsträger ihre Beschlüsse überdenken.

Die meisten Ihrer Bürgermeisterkollegen gehen nicht auf die Straße. Verstehen die ihren Job falsch?

Nein, ein Urteil dazu maße ich mir nicht an. Man merkt aber, dass viele Kollegen mit Parteibuch – aus Angst in Missgunst zu fallen – mit ihrer Meinung hinter den Berg halten. Viele Amtskollegen argumentieren hinter verschlossenen Türen aber genauso wie ich. Als Parteiloser kann ich meine Meinung offener sagen. Mir wurde von Stadträten allerdings schon vorgeworfen, dass ich damit Fördermittel für Investitionen in der Stadt in Gefahr bringe.

Es gab viel Beifall aus der Bevölkerung für die erste Kundgebung. Bei Facebook hieß es: „Tolle Worte Herr Bürgermeister, als könnten Sie von der AfD stammen.“ Würden Sie auf „Gefällt mir“ drücken?

Nein. Es gefällt mir nicht, weil ich nicht in eine politische Richtung rede. Ich bin weder links noch rechts. Ich lasse mich von keiner Partei instrumentalisieren. Es war aber vorauszusehen, dass das als Anlass genommen wird, um vielleicht politische Ziele umzusetzen.

Wie wollen Sie verhindern, dass politisch Extreme Ihre Kundgebung unterwandern?

Zu 100 Prozent bekommt man das nicht gelöst. Es wurden beim letzten Mal auch Flugblätter von der AfD verteilt, das finde ich nicht gut. Ich möchte keine Parteilogos oder Russlandfahnen sehen. Genau das sehen viele Teilnehmer auch so. Es soll eine parteipolitisch neutrale Kundgebung sein. Das Problem ist: Wenn jemand den Mund aufmacht, dann wird er gleich in eine Ecke gestellt. Eine Meinung muss nicht jedem gefallen. Aber eine Demokratie muss das aushalten.

Im Jahr 2024 ist Bürgermeisterwahl in Bad Langensalza. Jetzt sagen einige, Sie seien schon im Wahlkampfmodus. Ist die Demo auch Wahlkampf?

Das ist definitiv nicht der Fall. Es ist meine Arbeit und so sollen das die Leute wahrnehmen. Wenn ich jetzt die Sorgen und Nöte der Bürger für Wahlkampfzwecke ausnutzen würde, dann wäre ich fehl am Platz. Da würde ich mir untreu werden. Ich weiß auch, dass ich zu dieser Veranstaltung wieder eine Gratwanderung machen werde.

Was meinen Sie damit?

Es gibt einige, denen wird das nicht gefallen. Und ich weiß jetzt schon, dass ich nach der Veranstaltung Vorwürfe erhalten werde, dass ich als Privatperson in das Geschäft das Bürgermeisters reinrutsche, aber das ist dann Auslegungssache.

Kommen die deutschlandweiten Proteste bei der Bundesregierung an?

Von der ersten Veranstaltung bis heute hat sich nicht grundlegend etwas geändert.

Wenn Sie ein Berater der Bundesregierung wären, was würden Sie raten?

Mehr Diplomatie, sich an einen Tisch zu setzen, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Wenn aus der Ukraine Hilferufe kommen, wird zuerst an Waffenlieferungen statt an einen diplomatischen Weg gedacht. So grausam der Krieg auch ist, es war ein Fehler, von heute auf morgen komplett auf russisches Gas verzichten zu wollen. Denn wir sind davon abhängig. Es gibt keine echte Alternative.

Das wird sich auch auf die Stromversorgung auswirken. Bei erneuerbaren Energien sind wir derart im Rückstand. Wenn wieder mehr mit Strom geheizt wird, droht ein Kollaps. Atomenergie halte ich für die einzige Option, das zu verhindern.

Die Russland-Sanktionen ziehen einen Rattenschwanz nach sich. Die Preise steigen ins Unermessliche. Unternehmern hier aus der Stadt halten es für einen Wahnsinn, was da gemacht wird. Letzten Endes betrifft es auch die Stadtkasse, wenn Gewerbesteuereinnahmen dadurch ausbleiben. Und ich sehe eine massive Arbeitslosigkeit auf uns zukommen.

Es gibt also zwei Optionen: eine diplomatische Lösung zum Frieden oder die Lockerung der Sanktionen gegen Russland unabhängig vom Krieg?

So ist es. Aber so wie es momentan läuft, überstehen wir den Winter nicht. Die Nebenkosten werden spürbar ansteigen. Ich habe die Befürchtung, dass das bei vielen Menschen, die jetzt schon wenig haben, in einer Katastrophe endet. Aussagen wie „Waschlappen statt Dusche“ oder „Wir stellen die Heizung ab“, sind lächerlich. Das sind für mich keine Lösungen.

Die Kundgebung findet am Montag,17. Oktober, 17 Uhr, auf dem Neumarkt in Bad Langensalza statt. Neben Matthias Reinz macht Bäckermeister Enrico Esche auf Existenzängste seines Handwerks aufmerksam. Die pensionierte Lehrerin Petra Schnürch spricht zum Thema Kinder und Familie.