Nordhausen. Wenn „Cinderella“ am Freitag Premiere feiert, hat Anja Schulz-Hentrich nicht nur hinreißende Kostüme geliefert, sondern doppelt Grund zur Freude.

„Ein Kleid kann sterben.“ Sätze wie dieser lassen vielleicht an Guido-Maria Kretschmer denken. In Wahrheit aber stammen sie nicht von dem bekannten Modemacher und Fernsehmoderator, sondern von Anja Schulz-Hentrich. Die Ausstatterin am Nordhäuser Theater bringt damit auf den Punkt, wie komplex es ist, bis ein Theaterkostüm von der ersten Idee bis zur perfekten Illusion einer Vorführung vollendet ist: So viel Vorrecherche steckt oft in ihnen, jede Menge handwerkliches Geschick und Bastelarbeit und vielleicht noch mehr Kompromissbereitschaft, bis das Kleidungsstück Choreograph und Ausstatterin gleichermaßen zufriedenstellt. Gelinge dies nicht, dann sei ein Kleid „abgespielt“ oder „gestorben“, erläutert Anja Schulz-Hentrich die Begrifflichkeiten ihres Jobs lächelnd.

Und ihr Lächeln wird noch breiter: Denn bei „Cinderella“, dem von Ballettdirektor Ivan Alboresi choreographierten Ballett in drei Akten, das heute Premiere feiert, ist kein Kleid gestorben. Vielmehr erweckt die Ausstatterin mit ihren Kreationen den Stoff um Aschenputtel zu neuem Leben: Denn im Jahr ihres kleinen Jubiläums – immerhin feiert Anja Schulz-Hentrich dieser Tage ihr 15-Jähriges am Spielhaus – konnte sich die Nordhäuserin austoben wie selten zuvor. Neben dem 2016 gespielten Musical „Pirate Queen“ seien es mit die aufwendigsten Kleider gewesen, die sie erschaffen durfte.

Während sie das erzählt, blättert Anja Schulz-Hentrich in ihrem Figurinenkatalog von damals. In diesen dicken Heftern sammelt die Ausstatterin all ihre Ideen aus Magazinen und dem Internet. Ist daraus ein eigener Ansatz entstanden, überträgt sie feine Zeichnungen auf leere Blätter, die der Schneiderei als Grundlage dienen. Schulz-Hentrich deutet auf einen pompösen Mantel für Désirée Brodka, als Queen Elizabeth im einstigen Musical. „Der Unterschied zu ‚Pirate Queen‘ ist: Bei ‚Cinderella‘ haben wir es nicht mit Stehkleidern zu tun. Eine Eleonora Peperoni muss sich auch mal auf den Boden werfen“, sagt sie über die Tänzerin, die in dem Ballett Cinderellas Stiefschwester darstellt. „Aber Stiefschwestern müssen eben trotzdem krachen“, lacht Anja Schulz-Hentrich und präsentiert das Kleid, mit dem sie es krachen lassen will: Giftgrün und an den Beinen ausladend ist es. Runde Metallbögen beschreiben exzentrische Kurven, die es den Schneidern am Theater schwer machen, sagt Schulz-Hentrich voller Dankbarkeit für ihre Kollegen. Denn die müssen ihre Entwürfe so umsetzen, dass sie auch noch zum Tanzen geeignet sind. Und weil das Kleid nicht mehr unter eine Nähmaschine passt und um die vier Kilogramm schwer ist, seien die Metallringe händisch mit Elastikbändern und Angelsehnen fixiert worden. „Wenn das nicht hält, muss sogar die Schlosserei mit Nieten helfen“, erläutert Schulz-Hentrich ihre nächste Idee, um alles bis zur Premiere fertig und aufführungsreif zu bekommen. Die 32 Kostüme für Cinderella seien zum Teil fast schon „kleine Bauwerke“ geworden, sagt die studierte Architektin, die durch ihre Liebe zum Kulissenbau ans Theater kam.

Als „perfekte Symbiose“ und „Ping-Pong-Effekt“ bezeichnet sie den Weg zu solch aufwendigen Kostümen – große Teile des gesamten Theaters ziehen für Kostüme an einem Strang: Ausstatter, Schneiderei, Tänzer und der Choreograph. „Ivan Alboresi holt nicht nur das Letzte aus den Tänzern raus, sondern ermöglicht es auch, dass ich mich als Ausstatterin ausleben kann.“ Gefällt ihm ein Entwurf, der es aber den Tänzern schwer macht zu tanzen, werde nach jeder Probe wieder neu getüftelt, um für alle Optimales zu schaffen.

Tüfteln wie es Schulz-Hentrich auch in ihrer Freizeit tut: Um Socken und Slips der Tänzer in den gleichen Farben wie die Kleider erstrahlen zu lassen, wird da schon einmal ein Farbversuch angestellt und umgefärbt. Die Suche nach Ideen und Kleidungsstücken habe sie wohl in den meisten Modeläden Nordhausens bekannt gemacht. Und den kreativen Prozess bei der Entstehung eines Kostüms nehme man sowieso mit nach Hause, erzählt die Ausstatterin, die sich schon einmal von einer Goa-Party an den Ostsee-Dünen zu den Details des Kinderstücks „Hexe Hillary geht in die Oper“ inspirieren lässt. „Selbst die Familie muss dann leiden“, scherzt Anja Schulz-Hentrich, um vom Kopfschmuck der bösen Stiefmutter Cinderellas – gespielt von Camilla Matteucci – zu erzählen. Die Idee dazu bekam Schulz-Hentrich nämlich bei einem Streifzug durch das Kinderzimmer ihrer Tochter. Die dort gefundenen Feenflügel wurden kurzerhand mit Gaze umgestaltet, berichtet die zweifache Mutter nicht ohne Stolz.

Stolz, den ihr nicht nur das 15-jährige Jubiläum am Theater und die neuen Kostüme bereiten. Nein, auch das Mädchen mit den gemopsten Feenflügeln trägt dazu bei: Wird doch Töchterchen Johanna bei „Cinderella“ mittanzen. Und das mit gerade einmal neun Jahren. „Meiner eigenen Tochter ein Kostüm gestalten, das war schon ein besonderer Moment“, freut sich Anja Schulz-Hentrich darauf, es live zu sehen.

Das Ballett ist bis zum 3. April elfmal zu sehen. Karten gibt es im TA-Pressehaus oder an der Theaterkasse.