Weimar. Vor 75 Jahren wurden im damaligen Landgericht Weimar neun Menschen hingerichtet. Eine Veranstaltung erinnert Sonntag an die Widerstandskämpfer.

Vor 75 Jahren – am 5. Januar 1945 – wurden im Innenhof des Landgerichts Weimar acht Männer und eine Frau enthauptet. Jede Hinrichtung dauerte 20 Sekunden. „Solche Massenhinrichtungen stellen erhebliche Ansprüche an die Wendigkeit und die Nervenstärke aller beteiligten Beamten“, schrieb Oberstaatsanwalt Heinrich Seesemann später. „Trotz hemmender äußerer Umstände… ist alles reibungslos in verhältnismäßig kurzer Zeit abgegangen.“

Weimarer Tischler baute Guillotine für den Henker aus München auf

Seit 1937 war Weimar eine der zentralen Fallbeil-Hinrichtungsstätten im Deutschen Reich – für die Gerichte von Weimar, Jena, Dessau, Erfurt, Halle, Nordhausen und Naumburg. Regelmäßig saßen bis zu zehn Männer und Frauen in den Todeszellen. Bis 1945 wiederholte sich fast wöchentlich der gleiche Vorgang: Ein Weimarer Tischlermeister baute die alte primitive Guillotine auf, die bis 1937 nur selten benutzt worden war. Der Henker traf aus München ein. Unter der Adresse sind im Standesamt Weimar 197 Todesfälle belegt.

Anatomisches Institut der Universität Jena erhielt eigenen Sezierraum

Um die Körper der Toten bemühte sich schon 1938 das Anatomische Institut der Universität Jena. Dessen Direktor bestand darauf, „die Leiche sofort nach der Hinrichtung … herrichten lassen zu können“. Aus Universitätsmitteln des Volksbildungsministeriums baute Weimars Hochbauamt 1938 eigens dafür einen Sezierraum; die zweite Baumaßnahme nach dem Guss einer Betonplatte mit Blutabfluss für das Hinrichtungsgerät. Sie ist heute noch vorhanden.

Die meisten Hingerichteten waren Verurteilte der Sondergerichte in Halle, Erfurt und Weimar. Den „Standgerichten der Innenfront“, so Seesemann stolz, fielen zahlreiche „Volksschädlinge“, Zwangsarbeiter sowie von Kriegsgerichten verurteilte Deserteure zum Opfer.

Widerstandsgruppe gründete sich im Suhler Gasthaus „Zum Schuppen“

Die neun Menschen, die am 5. Januar 1945 umgebracht wurden, gehörten zu einer Widerstandsgruppe in Suhl. Das Gasthaus „Zum Schuppen“ in der Arbeitersiedlung Friedberg war ihr Treffpunkt. Die Stammgäste von Carl Stade, der nie einer politischen Partei angehörte, waren Kommunisten, Sozialdemokraten, Deutschnationale – erklärte Hitlergegner. Da dort viele Wanderer Rast machten, ergaben sich Kontakte in andere Landesteile. Sie verteilten Flugblätter, bildeten Kleingruppen in Betrieben der Waffenindustrie, sammelten Spenden für Verfolgte, versteckten Handfeuerwaffen und drei Maschinengewehre.

Über Minna und Emil Recknagel bestand enger Kontakt zum Widerstandskreis um den Sozialdemokraten und früheren Reichstagsabgeordneten Guido Heym. Die Wohnung des Ehepaares war ein weiterer Treffpunkt. Dort diskutierte die Gruppe über passiven Widerstand in Suhler Betrieben und Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung. „Wenn wir Frauen in den Fabriken arbeiten würden“, wird Minna Recknagel zitiert, „dann wäre der Krieg schon längst alle.“

Mitglieder kamen aus vielen politischen Lagern

Emil Recknagel war vor 1933 SPD-Mitglied. Auch wenn der Volksgerichtshof das Ehepaar als „Mittelpunkt einer kommunistischen Gruppe“ bezeichnete, so war die politische Offenheit des Widerstandskreises doch eine Besonderheit. Zu ihm gehörte der frühere Polizeileutnant Rudolf Gerngroß, 1934 wegen SPD-Mitgliedschaft entlassen und als Vertreter tätig. Und der Kaufmann Friedrich Heinze, einst Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei. Die Kommunisten Ernst König und Ewald Stübler kannten sich aus der Haft im KZ Buchenwald. Viele Mitglieder waren in den 1920er-Jahren als antistalinistische Opposition aus der KPD ausgeschlossen worden. So Adolf Anschütz. Früher Regionalgeschäftsführer des Deutschen Metallarbeiterverbandes, betrieb er ab 1933 einen kleinen Tabakladen, in dem Linke Stammkunden waren.

Gestapo ließ Friedberg-Gruppe über Jahre von Spitzel bewachen

Mehrere Jahre lang überwachte die Gestapo die Friedberg-Gruppe durch einen Spitzel. Im September 1943 und Juni 1944 schlug sie zu. Alle etwa 200 Verhafteten wurden schwer gefoltert, einige dabei totgeschlagen. In den „Suhler Hochverratsprozessen“ fällte der Volksgerichtshof Ende 1944 acht Todesurteile. Von den Hingerichteten gehörte nur Adolf Wicklein nicht zur Friedberg-Gruppe. In Sonneberg wohnhaft, unterstützte er sowjetische Zwangsarbeiter und verhalf Kriegsgefangenen zur Flucht.

Menschen Gedenken am Sonntag der zehn Hingerichteten

Minna und Emil Recknagel, Carl Stade, Adolf Anschütz, Ernst König, Ewald Stübler, Rudolf Gerngroß, Friedrich Heinze und Adolf Wicklein wurden am 5. Januar 1945 im Landgericht Weimar enthauptet. „Wir sterben unschuldig. [...] Ihr braucht euch nicht zu schämen“, schrieben die Recknagels in ihrem letzten Brief an die Angehörigen.

Die Todeszellen blieben bis zum Kriegsende ständig in Betrieb. Noch am 4. April 1945 holte die Gestapo zehn zum Tode Verurteilte ab und erschoss sie mit vielen anderen im Webicht.

Der Autor Harry Stein ist Historiker und Kustos der Gedenkstätte Buchenwald.

Gedenkveranstaltung: Sonntag, 5. Januar, 11 Uhr; Amtsgericht Weimar; Carl-von-Ossietzky-Straße